Bersucher*innen bei einem Vortrag beim Pride Symposium

Pride@MDC – Folge dem Regenbogen

CRISPR, PCR, TCRs – in der Biomedizin nutzen wir viele Abkürzungen. In der Forschung und auf Symposien, in Workshops oder auf Feierlichkeiten. Seit dem Pride-Symposium kurz vor dem Christopher Street Day (CSD) 2022 reiht sich am MDC eine weitere Abkürzung ein: LGBTQ+.

Premiere am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) – am 22. Juli haben sich die LGBTQ+ Community und ihre Unterstützer*innen getroffen, um sich zu vernetzen und für eine bessere Sichtbarkeit auch am Zentrum zu sorgen. Die Initiative für das Pride-Symposium ging von Jacobo López Carballo aus, einem PhD-Studenten in der AG Gotthardt, der das Symposium zusammen mit Christian Feregrino, Lieke van de Haar und Tijana Perovic organisiert hat. LGBTQ+ diese Abkürzung steht für: Lesbian, Gay, Bisexual, Trans und Queer. Q ist erst in den Nullerjahren hinzugekommen und bildet weitere Facetten der Geschlechtsidentitäten ab. Das Plus (manchmal auch ein Sternchen) steht für weitere Formen wie Pan-, Inter- oder Asexualität, wobei die letzten beiden Begriffe manchmal auch eigens angeführt werden (LGBTQIA+).

Die Organisator*innen und Sprecher*innen beim Pride Symposium (v.l.n.r.): Christian Feregrino, Ahi Issever, Noah Adams, Sofia Forslund, Tijana Perovic, Jacobo López Carballo, Charly Brinkmann, Lieke van de Haar und Thomas Stein

Zum Auftakt des Treffens im vollbesetzten Konferenzraum des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie des MDC (BIMSB) gab Jacobo López Carballo einen Überblick über die gesetzlichen Rahmenbedingungen weltweit. Während in manchen Ländern die Todesstrafe für die gleichgeschlechtliche Liebe droht, können LGBTQ+ Menschen anderswo heiraten und Kinder adoptieren. Jacobo skizzierte auch die Historie der ersten Homosexuellenbewegung in Berlin, vom späten 19. Jahrhundert bis 1933. „Dies wird nicht das letzte Pride-Symposium am MDC gewesen sein“, sagte er im Anschluss an seinen Vortrag. Spätestens damit ließ er durchblicken, dass er eine eigene kleine Berliner Historie mitgestalten will: die der LGBTQ+-Sichtbarkeit am MDC. Dabei kann der Doktorand, wie die breite Unterstützung für das Symposium zeigt, auf Verbündete zählen.

Das MDC im Zeichen des Regenbogens

Nicht nur am MDC wurde vergangene Woche zum ersten Mal die Regenbogenfahne gehisst. Auch auf dem Bundestag flatterte das Banner als Zeichen der Solidarität erstmals im Wind. Dass das Hissen einer Regenbogenfahne keineswegs trivial ist, betonte Dr. Ahi Sema Issever in ihrem Vortrag. Sie ist die Dezentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Charité – Universitätsmedizin Berlin und berichtete über die Erfahrungen des QueerNetzwerks, das dort seit 2018 besteht. Damals galt es noch große Hürden zu überwinden: ein Hissen für mehr als zwei Tage und an mehr als einem der vier Klinik-Standorte wollten die Entscheidungsträger*innen nicht selbst verantworten, verwiesen auf eine dafür benötigte Involvierung des Vorstandes, und so blieb es anfänglich bei nur zwei Tagen. Dass die Fahne dieses Jahr ohne weiteres an allen Standorten und während des gesamten Pride-Monats zu sehen war (wie auch am MDC), ist sicherlich ein Verdienst des Netzwerkes, welches sich queeren Themen und Interessen an der Charité widmet, um diese sichtbarer in Klinik, Forschung und Lehre zu machen. Ob sich ein ähnliches Netzwerk am MDC formieren wird, bleibt spannend. Dr. Sofia Forslund, Arbeitsgruppenleiterin am MDC und ECRC, ist sich sicher, dass das Symposium den richtigen Impuls gegeben hat: „Der Organisationsprozess des Symposiums basierte auf einem Bottom-up-Prozess, aber mit Top-down-Unterstützung. Und beides ist erforderlich, um Sichtbarkeit und Inklusion zu erhöhen“, sagte sie.

Warum LGBTQ+-Sichtbarkeit wichtig ist

Aus dem Publikum gab es unter anderem die Frage, wie man als Einzelne*r LGBTQ+ Anliegen konkret unterstützen könne.

Wie zentral Sichtbarkeit ist, war eines der Hauptthemen des Symposiums – sowohl während der Vorträge als auch in der Podiumsdiskussion im Anschluss. Dr. Thomas Stein, Demograph an der Charité, gab zum Beispiel einen Einblick, wie schwierig es ist, demographische Daten zur Sichtbarkeit zu sammeln. So sind etwa gleichgeschlechtliche Paare in den meisten Ländern quasi unsichtbar, da beim Zensus nicht explizit danach gefragt wird. Zu den wenigen Ländern die direkt danach fragen, gehören Kanada, Brasilien, Uruguay, Schweden und Neuseeland – Deutschland ist nicht darunter. „Trotzdem kann man auch bei uns diesbezügliche Daten extrapolieren“, erklärt der Experte, „beispielsweise wird hierzulande beim Zensus abgefragt, ob man in einer Partnerschaft lebt und auch, ob man mit dem Partner oder der Partnerin im selben Haushalt wohnt. Werden beide Fragen von zwei gleichgeschlechtlichen Menschen aus einem Haushalt jeweils mit Ja beantwortet, kann man auf ein gleichgeschlechtliches Paar schließen.“

Charly Brinkmann, PhD-Studentin am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) und Mitglied des LGBTQ+ STEM Berlin Netzwerks (STEM steht für Science, Technology, Engineering, Mathematics) präsentierte Studien, die zeigen, dass LGBTQ+ Menschen in der Wissenschaft mehr publizieren, wenn sie ihre Identität am Arbeitsplatz nicht verstecken. Eine bessere Sichtbarkeit und gute Netzwerke an wissenschaftlichen Einrichtungen können also einen direkten positiven Einfluss auf die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen haben, die eine Wissenschaftseinrichtung generiert.  

Inklusion und Diversität

LGBTQ+-Menschen sind nicht die einzigen, die systematisch benachteiligt werden. Viele Frauen machen ähnliche Erfahrungen ebenso Menschen mit Migrationshintergrund oder Angehörige verschiedener Ethnien. Wie schwierig es sein kann, mehr als einer potenziell benachteiligten Gruppierung anzugehören, darüber berichtete Noah Adams, Lehrassistent an der Universität Toronto. Er sprach über ein Thema, über das er nicht nur ein Buch verfasst hat, sondern das auch die Grundlage seiner Dissertation in Erwachsenenbildung und Community Development ist: Trans-Menschen, die gleichzeitig autistisch sind. Viele Studien seien primär klinischer und kaum sozioökonomischer Natur. Sie würden daher die gesellschaftlichen Probleme dieser Minderheit kaum aufzeigen. Die gebe es aber zuhauf. Selbst Länder, in denen es geschlechtsanpassende medizinische Versorgung gibt, verlangen für den Zugang psychologische Gutachten und setzen dabei oft die „Heilung“ vom Autismus voraus. Und das, obwohl umstritten ist, ob Autismus per se therapiert werden muss. Für diese mehrfach diskriminierten Menschen kann das gravierende Hürden zur Entwicklung ihres vollen Potenzials bedeuten, führte Adams aus.

LGBTQ+ ist ein Thema, das jede*n betrifft

Veränderung, etwa die rechtliche Anerkennung von LGBTQ+ Lebensweisen durch Gesetze zur Homoehe oder Antidiskriminierungsparagraphen, wurden zuletzt nach vielen Jahren des Kampfes um Anerkennung und Gleichberechtigung in vielen Ländern eingeführt, manches Mal dann durchaus überraschend schnell. Es besteht allerdings umgekehrt auch die Gefahr, dass solche Rechte schnell wieder rückgängig gemacht werden. Dies wurde vor allem bei der Podiumsdiskussion deutlich. „Mangelnde Sichtbarkeit kann auch eine Art Minderheitenstress erzeugen, das Gefühl, nicht dazu zu gehören, somit Energie rauben und die Produktivität verringern“, sagte Sofia Forslund. Eine aktive LGBTQ+-Präsenz in der Gesellschaft sei wichtig, waren sich alle Anwesenden einig. Notwendig seien auch Unterstützer*innen, die vielleicht nicht selbst Teil der LGBTQ+-Community sind, sich aber als Verbündete verstehen.

Besucher*innen des Pride Symposiums im Austausch miteinander

Dass zahlreiche Verbündete am Symposium teilnahmen, aus Interesse und aus Solidarität, darüber zeigten sich die Organisatoren überaus erfreut. So gab es mehr als eine Frage aus dem Publikum, was man denn als Einzelne*r konkret tun könne, um LGBTQ+ Anliegen zu unterstützen. Neben allgemeiner Zivilcourage sind das oft kleine Dinge, wie das Führen von Pronomen in der eigenen E-Mail-Signatur, erklärten Noah Adams und Charly Brinkmann unisono. Für die meisten Menschen mag das auf den ersten Blick als nicht notwendig erscheinen, allerdings könne das etwa Trans- oder genderfluide Personen bestärken, dies auch zu tun, ohne sich dabei als Außenseiter*in zu fühlen. „Ich für meinen Teil werde mir diesen Vorschlag zu Herzen nehmen und meine Signatur anpassen“, sagte ein Teilnehmer auf der anschließenden Pride Beer Hour. Inklusion beträfe nämlich alle und nicht nur Minderheiten. „Sie funktioniert nur, wenn sie von der Mehrheit ausgeht.“ Der Anspruch des Pride-Symposiums, das MDC zu einem inklusiveren, bunteren und vielfältigeren Institut zu machen, scheint bereits zu fruchten.

Text: Andreas Ofenbauer

 

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