Propescu 9 November

Die Welle der Freiheit

Valentin Popescu, LifeTime Kommunikationsmanager

„Um der Organisation der Pioniere beizutreten, leiste ich, Valentin Popescu, den feierlichen Eid, mein Vaterland zu lieben, gut zu lernen, fleißig und diszipliniert zu sein und das rote Dreieckstuch mit der Trikolore zu ehren.“
Der Zweck dieser Organisationen bestand darin, einen 'neuen Menschen' zu schaffen.
Valentin Propescu Portrait
Valentin Popescu LifeTime communication manager

Nach Leistung dieses feierlichen Eids durften sich Zweitklässler als Mitglieder der Pionierorganisation im kommunistischen Rumänien betrachten. 1987 war es für mich soweit. Alle Zweitklässler wurden Pioniere, damit begann für sie der umfassende Prozess der Indoktrination. Schüler in Uniform, Klassenzimmer mit einem Bild des Genossen Ceausescu an der Wand, einzigartige Schulbücher, patriotische Lieder, Arbeit auf den Feldern, Aufgaben und Pflichten für Kinder – soweit ein kurzer Blick in das rumänische Erziehungssystem während des kommunistischen Regimes.

Jede Klasse hatte einen Abteilungskommandeur, der eine gelbe Schnur an der Uniform trug. Außerdem gab es Gruppenkommandeure mit einer roten Schnur. Sie waren für jeweils eine Sitzreihe in der Klasse verantwortlich. Zu Schulbeginn sorgten sie dafür, dass sich die gesamte Klasse aufstellte, um die Nationalhymne zu singen und den „geliebten“ Genossen Ceausescu zu preisen. Ich hatte das große Vergnügen, Gruppenkommandeur zu sein und so eine ganze Sitzreihe anführen zu dürfen. Ich leitete die Aktivitäten von der ersten Bank aus, wozu das Einsammeln von Klassenarbeiten ebenso gehörte wie die Entscheidung, wer die Tafeln putzen sollte. Schlechte Schüler saßen immer hinten.

Zum Idealbild eines kommunistischen Schulkinds gehörten Liebe zu Vaterland und Partei. Statt zu lernen, verbrachte es Zeit mit Aktivitäten, die seine Hingabe an den großen Parteiführer und die kommunistische Partei zum Ausdruck brachten. Nach chinesischem und nordkoreanischem Vorbild militarisierte Nicolae Ceausescu die Erziehung. Ab einem Alter von vier Jahren wurden die Kinder im Schulsystem und den kommunistischen Organisationen erfasst: Als „Falken des Vaterlands“ im Kindergarten, danach als Pioniere und später, in der weiterführenden Schule und an der Universität, in der Union der Kommunistischen Jugend. Diese Organisationen wurden von den Kommunisten gegründet, um eine ideale Gesellschaft zu formen, die ihren Gesetzen und Pflichten unterworfen war. Der Zweck dieser Organisationen bestand darin, einen „neuen Menschen“ zu schaffen.

Wie hätte mein weiteres Leben im Kommunismus ausgesehen?

Der Autor (2. v. re.) im Jahr 1987 in seiner Pionieruniform nach der Zeremonie zur Aufnahme in die kommunistische Jugendorganisation.

Der Autor als Erstklässler bei den Hausaufgaben.

Ich war nur für zwei Jahre Pionier, von 1987 bis 1989. Ich weiß nicht, wann ich erfuhr, dass die Berliner Mauer gefallen war. Sicher nicht im November 1989. Zu dieser Zeit waren sämtliche freien Informationsquellen noch streng verboten. Die Welle der Freiheit erreichte Rumänien erst anderthalb Monate später, im Dezember 1989. Mit sieben Jahren verstand ich noch nicht viel von dem, was geschah. Für mich waren die Trickfilme wichtiger, die einmal in der Woche im Fernsehen kamen oder amerikanische Filme, die wir heimlich auf einem illegal von Bekannten ins Land gebrachten Videorecorder abspielten. Die gesamte am Laufen gehaltene Propagandamaschinerie war ein Versuch, die Gesellschaft und uns Menschen in ihr zu verändern. Darum begann die Indoktrination auch so früh. Man wollte gläubige Unterstützer des kommunistischen Regimes heranziehen.

Heute, 30 Jahre später, habe ich mich schon oft gefragt, wie mein weiteres Leben im Kommunismus ausgesehen hätte. Ich stelle mir gern vor, dass ich der Indokrination heldenhaft widerstanden oder mich sogar im Widerstand engagiert hätte. Aber ist man erst einmal so früh in einen Indoktrinationsprozess hineingeraten, ist es, so glaube ich, schwierig, sich anders zu verhalten als die Mehrheit. Ich wäre nur ein weiteres winziges Rädchen in der riesigen Maschinerie des Despotismus einer einzigen Partei gewesen. Ohne Informationen darüber, wie freie Gesellschaften funktionieren, hätte ich alles geglaubt, was man mir erzählt. In der Oberschule wäre ich wahrscheinlich der Union der Kommunistischen Jugend beigetreten. Nach Ende meines Studiums hätte mir der Staat irgendwo in Rumänien eine Arbeitsstelle zugewiesen. Es war nicht erlaubt, keiner Arbeit nachzugehen.

Ohne diese schwerwiegenden Veränderungen wäre mir Freiheit eine vollkommen fremde Idee geblieben.
Valentin Propescu Portrait
Valentin Popescu LifeTime communication manager

Der Fall der Berliner Mauer, die Revolution in Rumänien und die radikalen Veränderungen in den anderen Staaten des Ostblocks brachten mir jedoch eine Freiheit, die ich ansonsten nicht gekannt hätte. Ohne diese schwerwiegenden Veränderungen wäre mir Freiheit eine vollkommen fremde Idee geblieben. In ihrem Buch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ schreibt Hannah Arendt: „Was den Kampf gegen eine unterdrückerische Gesellschaft anfacht, ist eine Gegenvision. Eine Vision von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit und die Vorstellung, dass sie verteidigt werden muss.“ Wie jedoch soll man etwas verteidigen, was man nicht kennt? Der Kommunismus hat versucht, diese Vorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit auszulöschen. Ich habe das Glück, die meiste Zeit meines Lebens in einer freien Gesellschaft verbracht zu haben. Ich hatte die Freiheit, zu reisen und andere Menschen zu treffen. Jetzt weiß ich, dass Freiheit das wertvollste Geschenk ist, das ich auch dem Fall der Berliner Mauer zu verdanken habe – ein Geschenk, das wir erhalten und wertschätzen müssen.