Junge Pioniere

Und plötzlich war alles bunt

Maxi Hiller, Assistentin Rechtsabteilung

Im November 1989 war ich zehn Jahre alt, aufgewachsen in Ost-Berlin, bis dato bestrebt ein vorbildlicher Jungpionier zu sein.

Meine Eltern verabscheuten die Politik der DDR, was aber immer ein großes Geheimnis war. So richtig sagen durfte man das auf keinen Fall. Dass wir zu Hause Westfernsehen schauten, sollte in der Schule auch nicht erzählt werden. Ich brüstete mich trotzdem damit bei meinen Klassenkameraden, denn nur so war man irgendwie cool und verwegen. Ab und zu bekamen wir Westpakete von den Verwandten aus dem Schwarzwald. Das war jedes Mal wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. 

Wir wurden ständig auf Gleichheit und Einheitlichkeit gedrillt, der Gruppenverband war alles, und ich wollte unbedingt dazugehören.
MH
Maxi Hiller Recht und Technologietransfer

Einmal wurde meine Mutter in die Schule zitiert, da ich meinen zuvor erhaltenen Schatz aus dem Westen, ein Mickey-Mouse-Heft, heimlich in die Schule mitgenommen und dort sogleich präsentiert hatte. Der Direktor meinte, ich würde subversive Literatur lesen, und meiner Mutter wurden drakonische Strafen angedroht. Das Heft wurde eingezogen. Ich vermute, dass der Direktor es heimlich an seine Kinder weitergegeben hat. So war es ganz oft. Ein System bestehend aus Denunziantentum und Doppelmoral bringt merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag. Ich weiß noch, dass wir, wenn wir mal eine Plastiktüte aus dem Westen hatten und diese, natürlich absichtlich, benutzten, sie „auf links drehen“ mussten, damit man die Werbung nicht lesen konnte.

Trotz meiner kindlichen Rebellion (manchmal band ich mein blaues Halstuch nicht ordentlich), war ich stets bemüht, meine Pflichten als Jungpionier ordentlich zu erfüllen. Wir wurden ständig auf Gleichheit und Einheitlichkeit gedrillt, der Gruppenverband war alles, und ich wollte unbedingt dazugehören. Wie schizophren. Aber als Kind, weiß man es nicht besser.

Noch in der Nacht als die Mauer fiel, sind meine Eltern mit mir in den Westen gefahren. Wir haben uns verbotenerweise zweimal für das Begrüßungsgeld angestellt, und als ich einen örtlichen Supermarkt, wir nannten diese Dinger übrigens Kaufhalle, betrat, bin ich ob der Fülle und bunten Farben fast umgefallen. Volle, bunte Regale hatte ich bis dato noch nie gesehen. Überhaupt erschien mir der Westen so viel bunter. Von dem doppelten Begrüßungsgeld habe ich übrigens einen Lila-Pause-Riegel erhalten. Und ich war sehr glücklich damit.

 

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