Dr. Séverine Kunz

Auf dem Weg von 2D zu 3D

Ihre Welt ist eine der Grautöne: die Elektronenmikroskopie, die Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem Inneren von Zellen und Strukturen liefert. Dr. Séverine Kunz hat sich dieser verborgenen Welt verschrieben. Seit kurzem leitet sie die Technologie-Plattform Elektronenmikroskopie am MDC.

Nach menschlichem Ermessen ist ein Ångström ein Nichts. Es entspricht dem zehnmillionsten Teil eines Millimeters und ist damit winziger als ein Nanometer. Bis in diese Bereiche kann ein Elektronenmikroskop vordringen. Es bündelt Elektronen zu einem Strahl, beschleunigt ihn und schleudert ihn auf eine Probe. Aufgrund seiner rasenden Geschwindigkeit ist seine Wellenlänge sehr viel kürzer als die von sichtbarem Licht. Damit erreichen Elektronenmikroskope eine weitaus höhere Auflösung als ein Lichtmikroskop.

Die Faszination für diese Technologie packte Dr. Séverine Kunz, als sie für ihre Promotion das Sarkolemm – so wird die Zellmembran von Muskelzellen bezeichnet – in Muskeldystrophien charakterisierte. Seit Ende des vergangenen Jahres leitet die 37-Jährige die Technologie-Plattform Elektronenmikroskopie am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC).

In Paris infiziert

Dr. Séverine Kunz entdeckte ihre Leidenschaft für die Elektronenmikroskopie während ihrer Promotion. Seit 15. Dezember 2021 leitet sie die Technologie-Plattform Elektronenmikroskopie.

Für die Promotion pendelte Séverine Kunz nach ihrem Biologie-Studium in Mainz im Rahmen eines internationalen Graduiertenkollegs zwischen Berlin und Paris. Sie beschäftigte sich mit der Endozytose, einem zellulären Vorgang, der bei der Kommunikation von Zellen, aber auch beim Fettsäurestoffwechsel abläuft. Dabei stülpt sich die Zellhülle nach innen ein, und es entstehen kleine gefäßartige Strukturen, die Caveolae. Diese Einstülpungen bleiben entweder an der Membran sitzen. Oder sie schnüren sich ab und befördern auf diese Weise fremdes Material ins Zellinnere – etwa Fettsäuren. Abwechselnd forschte sie in Laboren der Freien Universität Berlin und der Universität Pierre und Marie Curie in Paris. Bei Professor Jean-Pierre Carteaux in Paris, der unter anderem die Signalübertragung an den Synapsen erforschte, kam sie mit der Elektronenmikroskopie (EM) in Berührung. Und war umgehend infiziert. „Ich fand es atemberaubend, dieselben Bilder zu entdecken, mit denen ich während meines Studiums gelernt hatte, wie Zellen funktionieren“, erzählt Séverine Kunz. „Sie nicht nur mit eigenen Augen zu sehen, sondern darüber hinaus auch zu verstehen, wie Struktur und Funktion zusammenhängen – das fand ich sehr spannend.“

Sie eignete sich das Know-how für die Elektronenmikroskopie in Paris an und brachte es mit nach Berlin. Als Doktorandin im Labor von Professorin Simone Spuler am Experimental and Clinical Research Center (ECRC) war sie die Einzige, die sich damit auskannte. Das ECRC ist eine gemeinsame Einrichtung vom MDC und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. So lernte sie auch die Technologie-Plattform Elektronenmikroskopie des MDC kennen. Und wusste schon bald, dass ihr Herz mehr noch als für die eigene Forschung für diese Methode schlägt.

Lieblingsthema: Membranen und was sie transportieren

Es macht mir sehr viel Freude, mit meiner Expertise andere Wissenschaftler*innen zu unterstützen.
Dr. Séverine Kunz
Dr. Séverine Kunz Leiterin der Technologie-Plattform Elektronenmikroskopie

Mit dem Doktortitel in der Tasche beobachtete sie in der Gruppe von Professor Oliver Daumke mithilfe der Elektronenmikroskopie die Cristae. So heißen die Falten an der inneren Membran der Mitochondrien, die ihnen ihr charakteristisches zusammengeknülltes Aussehen verleihen und an denen eine Vielzahl chemischer Reaktionen abläuft, etwa die Zellatmung. Bei Professorin Carmen Birchmeier sah sie durchs Mikroskop dabei zu, wie Muskelzellen fusionieren. Und dann wurde bei der Technologie-Plattform Elektronenmikroskopie eine wissenschaftliche Stelle frei.

Séverine Kunz bewarb sich – mit Erfolg. „Es macht mir sehr viel Freude, mit meiner Expertise andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu unterstützen, Einblicke in viele verschiedene Forschungsprojekte zu bekommen und sie mit nach vorne zu bringen“, sagt sie. An vielen MDC-Projekten hat sie in den zurückliegenden fünf Jahren als Wissenschaftlerin bei der Technologie-Plattform mitgewirkt. Hat mit dem Elektronenmikroskop beispielsweise Insulinvesikel im Inselorgan der Bauchspeicheldrüse, die neuromuskuläre Endplatte in Organoiden oder Protein-Ablagerungen in Gewebeproben aus dem Mäusegehirn sichtbar gemacht.

Die Elektronenmikroskopie wird dreidimensional

Seit April 2021 verfügt die Technologie-Plattform über ein Rasterelektronenmikroskop.

Als die bisherige Plattform-Leiterin Dr. Bettina Purfürst im vergangenen Jahr in den Ruhestand ging, bewarb sich Séverine Kunz um ihre Nachfolge und konnte sich gegen externe Bewerber*innen durchsetzen. Ihr Fokus, sagt sie, wird darauf liegen, den Fortschritt der Elektronenmikroskopie zu begleiten. Seit April 2021 verfügt die Plattform über ein neues Gerät, ein Rasterelektronenmikroskop. Dieses erzielt zwar eine etwas geringere Auflösung als das bisherige Transmissionselektronenmikroskop. Allerdings können mit dem Rasterelektronenmikroskop auch größere Volumina mit hoher Auflösung abgebildet werden. Dafür nutzt es neben der klassischen Oberflächenabbildung zwei weitere Methoden. Bei der Array-Tomografie werden ultradünne Serienschnitte von der Probe angefertigt und dann automatisiert mit dem Elektronenmikroskop abgebildet. So entstehen zweidimensionale Bildkacheln, die zu dreidimensionalen Volumenbildern zusammengerechnet werden. Die zweite Methode ist das FIB SEM. Das steht für Focused ion beam scanning electron microscopy – fokussierte Ionenstrahl-Rasterelektronenmikroskopie. Dabei werden keine Serienschnitte gemacht. Stattdessen wird die Probe als kleiner Block in das Mikroskop eingebracht. Dort trägt ein fokussierter Ionenstrahl zunächst eine sehr dünne Schicht ab, bevor das Mikroskop die glatte Oberfläche abbildet – immer im Wechsel. So entstehen gestochen scharfe, dreidimensionale Bilder. „Der Übergang von 2D- zu 3D-Darstellungen, vor allem im Zusammenspiel mit der Lichtmikroskopie, wird die Forschung am MDC sehr voranbringen“, ist Séverine Kunz überzeugt.

Ich sehe uns als Bindeglied zwischen der hochauflösenden Kryo-EM und der funktionellen Lichtmikroskopie.
Dr. Séverine Kunz
Dr. Séverine Kunz Leiterin der Technologie-Plattform Elektronenmikroskopie

Das Rasterelektronenmikroskop ist eine gemeinsame Anschaffung des MDC mit dem Leibnitz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP). „Die enge Zusammenarbeit mit unserem Nachbarinstitut macht wirklich Spaß“, schwärmt die neue Plattform-Leiterin. „Ich möchte sie in Zukunft noch weiter voranbringen. Forschung und Methodenentwicklung profitieren davon.“ Gleiches gilt für die Core Facility für Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) der Charité in Zusammenarbeit mit MDC und FMP. „Ich sehe uns als Bindeglied zwischen der hochauflösenden Kryo-EM, mit der Strukturbiologie gemacht wird, und der funktionellen Lichtmikroskopie, die Live-Aufnahmen ermöglicht.“

Ein offenes Haus

Wie bislang als Wissenschaftlerin setzt sie auch als Leiterin der Technologie-Plattform Elektronenmikroskopie auf die enge Zusammenarbeit mit den Forschenden. Kommunikation ist ihr sehr wichtig. „Ich möchte, dass unsere Plattform immer eine offene Tür hat“, sagt sie. Für die MDC-Community und darüber hinaus.

Text: Jana Ehrhardt-Joswig

 

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