Muskelzellen

Biobank für Muskelstammzellen

Das Team von Professorin Simone Spuler hat eine Methode entwickelt, um Stammzellen des Muskels so zu isolieren, dass sie ihr regeneratives Potenzial behalten. Für ihr Konzept, diese Technologie für Patienten mit Muskelleiden zu nutzen, hat Dr. Verena Schöwel den Science4Life-Preis erhalten.

Verena Schöwel hat eine Vision: Die Medizinerin möchte Menschen helfen, die an seltenen, bislang unheilbaren Formen des fortschreitenden Muskelschwunds erkrankt sind. Dafür will sie Stammzellen aus dem Muskelgewebe dieser Patientinnen und Patienten in einer arzneimittelgerechten Biobank so lange aufbewahren, bis geeignete Therapien zur Verfügung stehen. Die gesamte Arbeitsgruppe Myologie um Professorin Simone Spuler arbeitet intensiv an der Entwicklung solcher Ansätze, die vor allem Genkorrekturen im Blick haben. 

Für den Aufbau einer Biobank namens „MyoPax“ sind Schöwel und ihre Kolleginnen und Kollegen jetzt mit dem Science4Life-Preis ausgezeichnet worden. Der Preis soll angehende Gründer aus den Bereichen Life Sciences, Chemie und Energie dabei unterstützen, ihre innovativen Ideen in einen funktionierenden Businessplan umzusetzen und dabei möglichst viele Kontakte zu Investoren und Unternehmen zu knüpfen. „Unser Konzept steht inzwischen, momentan arbeiten wir vor allem an der Finanzierung der Biobank“, sagt Schöwel, die derzeit durch das Förderprogramm „Helmholtz Enterprise“ in ihrem Vorhaben unterstützt wird.

Das Myopax-Team: Janine Kieshauer, Simone Spuler, Verena Schöwel und Andreas Marg (v.l.n.r.)

Nach einer Woche im Kühlschrank sind nur noch Stammzellen da

Lange Zeit schien es schwer bis nahezu unmöglich zu sein, Muskelleiden mithilfe adulter Stammzellen zu behandeln. „Das lag allerdings daran, dass sich die Stammzellen im Labor stets schnell zu differenzieren begannen“, berichtet Schöwel. Dadurch sei ihre Fähigkeit, sich erst im Organismus in funktionierende Muskelzellen zu verwandeln, verloren gegangen. „Sehr frühe klinische Studien verliefen vor allem deshalb so enttäuschend, weil die Zellen, die in die Muskeln injiziert wurden, eigentlich schon gar keine Stammzellen mehr waren“, sagt Schöwel.

Den Forscherinnen und Forschern der AG Spuler ist es inzwischen jedoch gelungen, eine besonders schonende Methode zu entwickeln, um die begehrten Stammzellen aus dem Muskelgewebe zu isolieren und zu vermehren – so dass sie ihr regeneratives Potenzial behalten. „Früher haben wir wie alle anderen Forscher weltweit die Stammzellen mithilfe von Enzymen oder Antikörpern von den umliegenden Bindegewebszellen getrennt“, sagt Schöwel. Dabei wurden aber in den Stammzellen offenbar bereits Prozesse angestoßen, die deren Differenzierung in Gang setzten.

Mittlerweile bearbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der AG Spuler das per Biopsie gewonnene Muskelgewebe nur noch rein mechanisch. Es wird zunächst mit einer Pinzette ein wenig zerlegt und dann sieben Tage lang bei einer Temperatur von vier Grad Celsius hypothermisch behandelt. Dabei sterben alle Zellen bis auf die Muskelstammzellen ab, so dass eine reine Stammzellkultur mit sehr nativen Eigenschaften zurückbleibt. „Es klingt einfach“, sagt Schöwel, „war aber, als mein Kollege Dr. Andreas Marg die Methode das erste Mal erfolgreich angewendet hatte, mit einem echten Aha-Effekt verbunden.“

Von den Zellen sind auch langfristige Effekte zu erwarten

Das Team um Spuler konnte bereits zeigen, dass sich mithilfe der hypothermisch gewonnenen Stammzellen in Mäusen nicht nur neue Muskeln generieren lassen. „Auch der körpereigene Stammzellpool lässt sich durch die Zellen anreichern, so dass wir gerade bei fortschreitenden Muskelerkrankungen auch langfristige Effekte erwarten können“, berichtet Schöwel.

Janine Kieshauer aus Spulers Arbeitsgruppe ist es zudem gemeinsam mit einem Team vom GMP-Labor des Universitätsklinikums Tübingen gelungen, die neue Methode so anzupassen, dass sich mit ihr Stammzellen auch auf Arzneimittelniveau herstellen lassen. Derzeit werden die Zellen intensiv auf ihre Sicherheit geprüft. „Ziel ist es, sie im Rahmen einer klinischen Studie in zwei bis drei Jahren erstmals beim Menschen anwenden zu können“, sagt Schöwel.

Dabei wollen die Forscherinnen und Forscher in zwei Stufen vorgehen. Zunächst möchten sie mithilfe patienteneigener Stammzellen muskuläre Defekte beheben, die nicht auf einer genetischen Störung beruhen. In einem zweiten Schritt geht es um die Entwicklung von Therapien für erblich bedingte Muskelkrankheiten. Diese sollen ebenfalls mit Stammzellen behandelt werden, die von den Patienten selber stammen. Bevor Spuler und ihr Team die Zellen allerdings in besonders wichtige Muskelgruppen ihrer Patienten injizieren können, werden sie den genetischen Defekt per Gene Editing, also über die gezielte Reparatur fehlerhafter Gene, beseitigen müssen. Derzeit arbeitet die Gruppe daran, diese Verfahren zu etablieren und optimieren.

Für viele Patienten ist es ein Wettlauf gegen die Zeit

Genetisch bedingte Muskeldystrophien gehen mit einem fortschreitenden Verlust von Muskelmasse einher und sind bislang nicht behandelbar. „Schon heute ist es uns technisch allerdings möglich, patienteneigene Stammzellen auf Arzneimittelniveau einzulagern“, sagt Schöwel. Ihr Wunsch sei es daher, Patienten mit Muskeldystrophien anbieten zu können, ihnen Stammzellen in einem möglichst frühen Stadium der Erkrankung zu entnehmen und in der Biobank für sie aufzubewahren.

„Dies würde den Patienten die Möglichkeit bewahren, eigene Stammzellen in einem zukünftigen Therapieverfahren zu verwenden“, sagt die Medizinerin. Für viele Betroffene ist das Warten auf neue Forschungsergebnisse und Therapieentwicklungen ein Wettlauf gegen die Zeit. Doch die Aussichten auf Erfolg, davon ist Schöwel fest überzeugt, sind zumindest nicht ganz schlecht.

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