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Das Coronavirus schnell und fehlerfrei erkennen

Forschende des ECRC und des Technion in Israel haben eine neuartige Methode entwickelt, die das Coronavirus SARS-CoV-2 schnell und genau erkennt und dabei ohne die PCR-Amplifikation auskommt. Die Ergebnisse wurden in „ACS Nano“ veröffentlicht.

Die neue Technik kann SARS-CoV-2 in einer Probe nachweisen, indem die einzelnen RNA-Moleküle des Virus mit hoher Präzision gezählt und quantifiziert werden. Das Aufspüren der RNA ist nicht durch Amplifikationsfehler der PCR verzerrt, was in Zukunft die Entwicklung einer noch genaueren klinischen Diagnosetechnik ermöglicht.

Die Studie, die in „ACS Nano“ erschienen ist, haben Professor Amit Meller des Technion – Israel Institute of Technology und Professorin Ulrike Stein vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin, geleitet.

Der RT-qPCR-Test, der heute am häufigsten verwendete Test für COVID-19, muss Schritt für Schritt vorbereitet werden: So muss die Probe den Patient*innen mit einem Abstrich entnommen und das Virus anschließend „geöffnet“ werden, um die RNA zu extrahieren. Im nächsten Schritt (reverse transcription oder RT) werden bestimmte „Ziel“-Sequenzen der RNA in die DNA-Form kopiert. Schließlich wird diese DNA durch eine Polymerase-Kettenreaktion (PCR) vermehrt. Es entstehen Millionen Kopien, sodass genügend DNA für einen Nachweis vorhanden ist, was schließlich zu einer Diagnose von COVID-19 führt.

Einzelne biologische Moleküle

RT-qPCR-Tests erfordern große Mengen spezieller Reagenzien, teure Laborausrüstung und hochqualifiziertes Fachpersonal. Forschende aus aller Welt wollen nun schnellere, erschwinglichere und genauere Tests entwickeln. Diese Aufgabe ist besonders anspruchsvoll, wenn die „Viruslast“ (die Menge der viralen RNA) in einer Probe sehr klein und somit kaum nachweisbar ist.

Die von Meller und Stein vorgestellte neue Methode beruht auf einer Technologie, die das Team in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt hat: Das Reverse Transcription Quantitative Nanopore Sensing (RT-qNP) nutzt Nanoporen auf einer künstlichen Membran, um einzelne biologische Moleküle zu detektieren. Die Effektivität dieser Technologie wurde bereits in einer Reihe anderer biomedizinischer Anwendungen gezeigt. Im Gegensatz zu herkömmlichen molekularen Diagnostikverfahren, die große Proben mit Millionen von Kopien desselben Moleküls erfordern, analysiert das Nanoporen-Sensing einzelne biologische Moleküle aus viel kleineren Proben.

Mit Hilfe eines starken elektrisches Feldes entfalten sich einzelne DNA-Moleküle, die durch ein nanometergroße Loch mit optischen und elektrischen Sensoren gefädelt werden. Jedes Molekül, das durch das Loch geht, weist eine charakteristische „Signatur“ auf. Die Moleküle können also sofort identifiziert und gezählt werden. So können die Diagnosesysteme miniaturisiert und gleichzeitig die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Tests verbessert werden.

Metastasierenden Krebs oder Coronavirus-RNA nachweisen

Zwei Anwendungen dieser Methode stellen die Autor*innen in der Veröffentlichung vor: Sie identifizieren RNA-Moleküle, die für metastasierenden Krebs charakteristisch sind und Coronavirus-RNA. Um den eindeutigen Nachweis zu ermöglichen, haben sie ein Verfahren entwickelt, das nur die relevanten Zielmoleküle intakt lässt, während alle anderen abgebaut werden.

Dies ermöglicht genauere Krebsdiagnosen sowie Prognosen und Vorhersagen über den Krankheitsverlauf – auf der Basis von Gewebe- oder auch Blutproben, also liquid biopsies.
Ulrike Stein Leiterin der AG "Translationale Onkologie solider Tumore"

Forschende können metastasierenden Krebs früh erkennen, indem sie mit der neuen Methode die Expression eines Gens messen, das Stein und ihr Team entdeckt haben. MACC1 ist eines der grundlegenden Gene, die das Metastasieren anzeigen. „Dies ermöglicht genauere Krebsdiagnosen sowie Prognosen und Vorhersagen über den Krankheitsverlauf – auf der Basis von Gewebe- oder auch Blutproben, also liquid biopsies“, sagt Stein. Dank der hohen Sensitivität der Technologie kann sie auch Krebszellen in frühen Krankheitsstadien (I und II) erfolgreich quantifizieren. Daran scheitern PCR-basierte Technologien. Die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung sind umso besser, je früher diese genetischen Biomarker entdeckt werden.

Bei der zweiten Anwendung wies das Team mit dem gleichen Ansatz die RNA-Moleküle von SARS-CoV-2 nach. Die in dieser Studie vorgestellte Technik ist nicht die erste, die einzelne Moleküle analysiert. Aber im Gegensatz zu früheren Arbeiten verzichtet sie auf einige Prozesse in der Probenbehandlung, die ein „Rauschen“ und Fehler in das System einbringen: die Probenreinigung, bei der viele Zielmoleküle versehentlich verloren gehen, und die DNA-Amplifikation, die zu Fehlern und damit fehlerhaften Diagnosen führen kann. „Unser System ermöglicht die quantifizierbare Erfassung der RNA-Genexpression mit einem relativ einfachen Nano-Sensorgerät. Dafür muss die Probe weder gereinigt werden noch sind massive Amplifikationsprozesse erforderlich, die die Empfindlichkeit und Zuverlässigkeit des Tests beeinträchtigen könnten“, sagt Meller. „Wir haben gezeigt, dass unsere Technologie das Niveau der genetischen Expression der ursprünglichen RNA-Moleküle während des gesamten Prozesses bewahrt. Auf diese Weise erhalten wir eine präzisere Analysemethode, die in beiden von uns untersuchten Kontexten – RNA-Biomarker für metastasierenden Krebs und das SARS-CoV-2-Virus – unerlässlich ist.“

Der Artikel im Fachjournal „ACS Nano“ ist ein wichtiger Schritt für die Wissenschaftler*innen, dennoch ist der Weg noch weit. Das Team erwartet, dass dank weiterer Forschungsarbeiten das Nanoporen-Sensorsystem zu einem tragbaren Gerät wird, das umständliche und aufwendige Laborausrüstung überflüssig macht. Die technologische und klinische Forschung wird an der Technion-Fakultät für Biomedizintechnik in Zusammenarbeit mit der BioBank auf dem Rambam Health Care Campus fortgesetzt. Gleichzeitig werden Schritte zur Kommerzialisierung der Technologie unternommen, um sie so bald wie möglich für den allgemeinen Gebrauch verfügbar zu machen.

Die Forschung wird von der Europäischen Union (durch einen ERC-Grant im Rahmen des EU-Forschungsprogramms „Horizon 2020“ der Europäischen Kommission), der Israel Science Foundation (ISF) und der deutsch-israelischen Helmholtz-Research School "SignGene", das Doktorand*innen unterstützt, gefördert.

Weiterführende Informationen

Pressemitteilung von Technion

SignGene International Exchange Program

 

Literatur

Rozevsky, Yana et al. (2020): „Quantification of mRNA Expression Using Single-Molecule Nanopore Sensing“. In: ACS Nano, DOI: 10.1021/acsnano.0c06375