Erfolgreiche Suche nach neuen Therapieansätzen für seltene Krankheit durch translationale Forschung

Seltene Erkrankungen – orphan diseases – sind wegen geringer Patientenzahlen die Waisenkinder bei der Entwicklung neuer Therapien: Es ist schwer, klinische Studien durchzuführen und die pharmazeutische Industrie hat kein wirtschaftliches Interesse. Abhilfe schaffen kann hier eine enge Zusammenarbeit zwischen öffentlich finanzierter Forschung und Industrie auf internationaler Ebene. Die ANCA-assoziierte Vaskulitis ist solch eine seltene Erkrankung, deren Standardbehandlung zwar die Sterblichkeit senkt, aber selbst mit ernsthaften Nebenwirkungen behaftet ist.

Vor einigen Jahren hat die Forschungsgruppe um Prof. Ralph Kettritz am Experimental and Clinical Research Center (ECRC) – eine gemeinsame Einrichtung von MDC und Charité – ein essentielles Schlüsselelement des Krankheitsprozesses, den Komplementrezeptor C5a, identifiziert. Er eignet sich als Angriffsziel für einen neuen und spezifischeren Wirkstoff. Mittlerweile befindet sich die Entwicklung eines Medikamentes, das den Rezeptor blockiert, in der Erprobung an Patienten. Die Phase-2-Studie wird multizentrisch in Nordamerika und Europa durchgeführt, auch in der Nephrologie an der Charité.

Vom Patienten …

Die ANCA-assoziierte Vaskulitis ist eine systemische Erkrankung, bei der eine Immunreaktion gegen körpereigene Strukturen in weißen Blutzellen eine Entzündung kleiner Blutgefäße auslöst. Unbehandelt führt diese Krankheit zum Organversagen und Tod. Die klassische Therapie beruht auf Unterdrückung des Immunsystems durch Gabe von Kortikosteroiden in Kombination mit Zytostatika. Eine massive Methode, die den Krankheitsverlauf zwar stoppt, jedoch für den Patienten durch die starken Folgewirkungen ebenfalls tödlich enden kann. Seit 50 Jahren habe es keine wirkliche Weiterentwicklung der Behandlung gegeben, berichtet Prof. Kettritz. Auch eine neue Therapie gegen B-Lymphozyten sei mit unerwünschten Nebenwirkungen behaftet.

Prof. Kettritz ist Oberarzt in der Nephrologie der Berliner Charité. Die ANCA-assoziierte Vaskulitis wirkt sich häufig auf die fein verknäulten Kapillargefäße der Nieren, die Nierenkörperchen, aus und führt bei vielen seiner Patienten zu Nierenversagen. Daher interessiert er sich mit seinen Kollegen am ECRC dafür, wie genau die Kette der Ereignisse im menschlichen Organismus abläuft, die zu diesem Krankheitsbild führt.

über die Forschung ...

Auslöser sind Antikörper, die sich gegen körpereigene Proteine richten. Normalerweise binden Antikörper hochspezifisch an Proteine fremder Eindringlinge und markieren sie so für die Immunabwehr. Die ANCA (Anti-Neutrophile Cytoplasmatische Autoantikörper) hingegen heften sich an Bestandteile der weißen Blutzellen, wie zum Beispiel die Myeloperoxidase. Diese Immunzellen werden dadurch aktiviert, setzen Sauerstoffradikale und hochaktive Enzyme frei und schalten so, das konnte die Forschungsgruppe zeigen, im Blutserum das Komplementsystem an. Dieses dient für gewöhnlich der Abwehr von Mikroorganismen, indem es in einer streng regulierten Kaskadenreaktion eine zytotoxische Wirkung gegen die Eindringlinge entfaltet. Die Gruppe am ECRC hat in Zellkulturstudien gezeigt, dass Proteine des Komplementsystems, das C5a und sein Rezeptor C5aR, bei der ANCA-induzierten Immunaktivierung essentiell sind.

 

Nekrotisierende Entzündung eines Nierenkörperchen bei einem Patienten mit ANCA Vaskulitis

Die Forscher entwickelten darüber hinaus ein Mausmodell. Sie züchteten genetisch veränderte Tiere, denen Myeloperoxidase fehlt. Um eine ANCA-assoziierte renale Vaskulitis gezielt zu induzieren, wird diesen Mäusen zunächst Myeloperoxidase injiziert. Sie bilden darauf die Autoantikörper. Um nun die ANCA-assoziierte Vaskulitis auszulösen, ist ein weiterer Schritt notwendig. Die Mäuse, denen ja körpereigene Myeloperoxidase fehlt – die Autoantikörper richten damit noch keinen Schaden an –, erhalten eine Knochenmarkstransplantation einer normalen Wildtyp-Maus. Jetzt entwickeln die Tiere weiße Blutzellen, die Myeloperoxidase enthalten und dadurch zum Ziel der ANCA werden. Nach kurzer Zeit schon entwickeln die so behandelten Mäuse die typischen Symptome wie blut- und proteinhaltigen Urin, sowie Vernarbung und Nekrose der Nierenkörperchen. Bekommen die Mäuse allerdings Knochenmark von Mäusen, die über keinen C5a Rezeptor verfügen, so werden in den Gewebeproben fast keine Läsionen mehr gefunden. Sie scheinen vor der Krankheit geschützt zu sein.

... zum Medikament.

Diese Erkenntnisse, im Journal of the American Society of Nephrology 2009 als Grundlagenpapier veröffentlicht, inspirierte die Firma ChemoCentryx, nach Wegen zu suchen, den C5a-Rezeptor zu unterdrücken. Solche Inhibitoren könnten sich als Therapeutikum eignen. Nach toxikologischen Untersuchungen und dem Testen der Wirksamkeit am Tier meldete die Firma klinische Studien für den Wirkstoff CCX168 als Medikament bei ANCA-assoziierter renaler Vaskulitis an. In der ersten Phase wird die Verträglichkeit am gesunden Menschen getestet, in der zweiten Phase dann wird CCX168 Patienten verabreicht, um die Wirksamkeit am Menschen zu ermitteln. Die ersten Ergebnisse seien, laut ChemoCentryx, sehr positiv. So erklärt David Jayne, der Leiter der Studie: „Diese Phase 2-Daten geben ermutigende Signale, dass die Behandlung mit CCX168 sowohl eine Reduktion des Einsatzes von Glukokortikoiden erlaubt, als auch die Geschwindigkeit und Qualität des Krankheitsrückganges verbessert.“

Was Prof. Kettritz besonders fasziniert, ist der erfolgreich beschrittene Weg vom Krankenhaus in das Labor und dann zur Industrie, um einen vielversprechenden Wirkstoff zu finden, der in naher Zukunft den Patienten eine wirkliche Verbesserung ihrer Therapie bringen könnte: „Das MDC hat sich Translation auf die Fahnen geschrieben – und unser Beispiel ist wirklich translational.“

Referenz:

Adrian Schreiber, Hong Xiao, J. Charles Jennette, Wolfgang Schneider, Friedrich C. Luft, and Ralph Kettritz. C5a Receptor Mediates Neutrophil Activation and ANCA-Induced Glomerulonephritis (2009), J Am Soc Nephrol. doi: 10.1681/ASN.2008050497

Die Forschungsgruppe am MDC Experimental and Clinical Research Center (ECRC):