Insulinempfindliches Fett treibt Übergewicht

Die Stoffwechselbalance im Fettgewebe wird durch das Protein SORLA mitbestimmt. Liegt es im Übermaß vor, werden Fettzellen überempfindlich gegenüber Insulin und bauen weniger Fett ab. Dr. Vanessa Schmidt aus der Arbeitsgruppe von Prof. Thomas Willnow vom MDC hat diesen neuen Zusammenhang entdeckt, zusammen mit einem internationalen Team detailliert charakterisiert und nun in der Fachzeitschrift Journal of Clinical Investigation vorgestellt. Zuvor war SORLA für seine schützende Funktion bei Alzheimer bekannt.

Zellen sind wahre Meister der Mülltrennung. Proteine werden für die Vernichtung oder das Recycling markiert, anschließend in verschiedene Behältnisse sortiert und auf die Reise in die Müllverbrennungsanlagen und Häckselmaschinen der Zelle geschickt.

Auch SORLA aus der Proteinfamilie der Sortiline ist Bestandteil so einer Sortiermaschinerie. Willnow und Schmidt haben entdeckt, dass SORLA relevant für die Alzheimer-Krankheit ist, und erforschen seine Rolle bei der neurodegenerativen Krankheit seit mehr als zehn Jahren. Sie fanden heraus, dass das Protein die Bildung der schädlichen Proteinablagerungen bei Alzheimer vermindert, indem es die verantwortlichen Proteine umsortiert. Das Alzheimer-Protein β-Amyloid (Aβ) entsteht erst durch den Abbau eines Vorläufermoleküls in den zellulären Müllverbrennungsanlagen, den Lysosomen. Dem Abbau wirkt SORLA entgegen, indem es das Vorläufermolekül in Kompartimente sortiert, in denen das Recycling stattfindet.

SORLA wird genetisch mit Fettleibigkeit in Zusammenhang gebracht

Nicht nur für Alzheimer ist SORLA relevant. Bestimmte Veränderungen des SORLA-Gens fielen bei Studien, die Gene in großen Personengruppen analysierten, auch im Zusammenhang mit üppigem Hüftumfang und erhöhtem Fettgehalt des menschlichen Körpers auf. „Solche genetischen Studien können nur statistische Zusammenhänge detektieren, der zugrundeliegende Mechanismus bleibt dabei ungeklärt“, kommentiert Thomas Willnow. „Allerdings ist seit vielen Jahren bekannt, dass Fettleibigkeit einen Risikofaktor für Alzheimer darstellt. Deshalb hat uns interessiert, ob es dafür eine funktionelle Erklärung gibt.“

Eine mögliche Rolle bei Stoffwechselerkrankungen ist plausibel. Zelluläre Sortier-Mechanismen dienen nicht nur zur Beseitigung beschädigter oder überzähliger Biomoleküle, sondern auch zur Feinabstimmung von Signal- und Stoffwechselwegen.

SORLA korreliert mit Fettleibigkeit in Probanden und im Tierversuch

Um die Rolle SORLAs im Stoffwechsel aufzuklären, untersuchte die Postdoktorandin Vanessa Schmidt menschliche Probanden und experimentierte mit Zellkulturen und zwei Tiermodellen.

Die Untersuchung des Fettgewebes von insgesamt 362 übergewichtigen Personen war ein zentraler Teil der Arbeit. „Die humanen Proben zu organisieren, war nicht einfach. Sie gibt der Publikation aber ihre Durchschlagskraft“, sagt Schmidt. Die Ergebnisse bestätigen den Zusammenhang aus den genetischen Studien: Je mehr SORLA im Fett vorliegt, desto ausgeprägter ist auch das Übergewicht. Aber ist der erhöhte SORLA-Spiegel auch der Grund oder nur die Konsequenz des Übergewichts? Diese Frage beantworteten die Forschenden mit Versuchen an Mäusen, in denen das Gen für SORLA gezielt nur im Fettgewebe überaktiviert wurde. Sobald diese Tiere kalorienreiches Futter zu sich nahmen, wurden sie zügig fettleibig. Mäuse mit einem inaktivierten SORLA-Gen, die die gleiche Kost erhielten, waren dagegen deutlich magerer als Mäuse mit gewöhnlichen SORLA-Spiegeln.

Zuviel SORLA bedeutet Insulin-Übersensitivität

Fettgewebe mit normalem SORLA-Spiegel unter dem Mikroskop. Die Fettzellen sind normalgroß. Bild: Vanessa Schmidt/MDC.

Das Protein SORLA moduliert also tatsächlich den Fettanteil im Körper von Tier und Mensch – aber die Frage nach dem zugrundeliegenden Mechanismus war immer noch offen. Mit Untersuchungen am isolierten Fettgewebe der Mäuse kam das Team um Schmidt und Willnow der Antwort ein Stück näher.

In den Fettzellen der Mäuse befand sich der Stoffwechsel in einem Ungleichgewicht: Die Fettzellen mit überaktivem SORLA-Gen bevorzugten Kohlenhydrate zur Energiegewinnung, gleichzeitig wurde der Fettabbau blockiert. In den Fettzellen von Mäusen mit inaktiviertem SORLA-Gen war es genau umgekehrt.

Dreh- und Angelpunkt dieser Veränderungen war offenbar das Stoffwechselhormon Insulin. Insulin wird ausgeschüttet, sobald im Blut vermehrt Zuckerverbindungen vorliegen – etwa nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit. Der Körper fährt den Fettabbau zurück und nutzt zur Energiegewinnung lieber die zahlreichen Zuckermoleküle. Um dies zu bewerkstelligen, bindet das Hormon an einen Rezeptor auf der Zelloberfläche der Fettzellen, der das Signal zum Stopp des Fettabbaus in die Zelle übermittelt. Um dieses Stopp-Signal auch wieder auszuschalten, wird dieser Insulinrezeptor dann in die Zelle aufgenommen und abgebaut.

Fettgewebe mit überaktivem SORLA-Gen. Hier sind die Fettzellen vergrößert. Bild: Vanessa Schmidt/MDC.

Zellen mit einem Übermaß an SORLA sprachen offenbar stärker auf Insulin an. In Studien an Zellkulturen verfolgten die Forschenden den Weg von SORLA und aufgenommenen Insulinrezeptoren auf dem Weg durch die Sortierstationen der Zelle. SORLA markierte die Insulinrezeptoren für die Wiederverwendung und blockierte deren Abbau in den Lysosomen. Bei einem erhöhten SORLA-Spiegel waren daher auch mehr Insulinrezeptoren auf der Zelloberfläche präsent. Mehr Insulinrezeptoren binden auch mehr Insulinmoleküle. Die Zelle wird überempfindlich für das Hormon und blockiert den Fettabbau zu stark.

Die erhöhte Insulin-Sensitivität treibt Adipositas

„Nicht nur Insulinresistenz wie bei Diabetes Typ II ist ein Problem“, bemerkt Willnow. „Auch, wenn das Fettgewebe übersensitiv gegenüber Insulin ist, kommt es zur Stoffwechselstörung.“ Bei normalem Futter gab es allerdings nur wenige Unterschiede zwischen den Mauslinien mit natürlichem, zu geringem und zu hohem SORLA-Spiegel. Die Mäuse mit zu viel SORLA nahmen erst extrem zu, als sie sich von fett- und kohlenhydratreichem „Fast Food“ ernährten. „Erst wenn man sich ungesund ernährt, wird es ein Problem, wenn das Fettgewebe zu empfindlich auf Insulin reagiert,“ sagt Thomas Willnow.

Mit den Ergebnissen stellen Vanessa Schmidt und Thomas Willnow einen ganz neuen Signalweg vor, der zuvor nicht bekannt war. Dieser hat auch klinische Relevanz, was die erhöhten SORLA-Spiegel im Fettgewebe übergewichtiger Personen bestätigen.

Die Rolle von SORLA bei Alzheimer und Adipositas beruht auf dem gleichen grundlegenden Mechanismus: Proteine werden in der Zelle gezielt sortiert. Gerät der Prozess in ein Ungleichgewicht, kann sich das auf ganz unterschiedliche Funktionen Körpers auswirken.


Vanessa Schmidt1, Nadja Schulz2, 3, Xin Yan1, Annette Schürmann2, 3, Stefan Kempa1, Matthias Kern4, Matthias Blüher4, Matthew N. Poy1, Gunilla Olivecrona5, and Thomas E. Willnow1 (2016): „SORLA facilitates insulin receptor signaling in adipocytes and exacerbates obesity.“ Journal of Clinical Investigation. doi: 10.1172/JCI84708

1Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin; 2Deutsches Institut für Ernährungsforschung, Potsdam-Rehbrücke; 3Deutsches Zentrum für Diabetesforschung, München-Neuherberg; 4University Medical Center, Universität Leipzig; 5Department of Medical Biosciences and Physiological Chemistry, Umeå University, Sweden.


Beitragsbild: Fettzellen mit markiertem Insulinrezeptor (rot), Early Endosomes (grün), Zellkernen (blau) und Fetttröpfchen (weiß). Bild: Vanessa Schmidt/MDC.