Mit Barcodes die Zellentwicklung verfolgen

Für manche Anwendungen – etwa in der Entwicklungsbiologie – darf das Erbgut bei der Entschlüsselung nicht erst in winzige Stücke zerhackt werden. Vielmehr sind lange Leselängen von mehreren Tausend Basen nötig. Ein aktuelles Nature-Paper zeigt, was mit dem PacBio-Sequenzierer der Genomics-Technologieplattform am MDC möglich ist.

Darüber, wie sich Blutzellen entwickeln, existieren verschiedene Auffassungen – sie basieren jedoch fast ausschließlich auf Experimenten, die Momentaufnahmen widerspiegeln. Nach der klassischen Vorstellung fächern sich unterschiedliche Entwicklungslinien der Blutzellen auf wie in einem Baum. Den Baumstamm bilden die Stammzellen, die Äste verschiedene Vorläuferzellen, aus denen sich unterschiedliche Zelltypen entwickeln können. Dann verzweigt es sich zu den spezialisierten Blutzellen, den roten Blutkörperchen, Blutplättchen und verschiedene weiße Blutkörperchen, die der Immunabwehr dienen. In den letzten Jahren häuften sich jedoch die Zweifel an diesem Modell.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) stellen nun im Fachjournal Nature eine neue Technik vor, mit der sich das Geschehen dynamisch erfassen lässt: Mithilfe eines „Zufallsgenerators“ versehen die Teams um Hans-Reimer Rodewald und Thomas Höfer (DKFZ) Blutstammzellen mit genetischen Barcodes, können so ihre Nachkommen eindeutig identifizieren und verfolgen, welche Zelltypen aus der Stammzelle hervorgehen. Diese Technik erlaubt völlig neue Einblicke in die Entwicklung unterschiedlicher Gewebe sowie in die Krebsentstehung.

Claudia Quedenau am PacBio. Bild: MDC

Von welcher Stammzelle stammt die Blutzelle ab?

„Unsere Barcodes können gewebespezifisch direkt im Erbgut der Mäuse induziert werden – ohne die physiologische Entwicklung der Tiere zu beeinflussen“, sagt Rodewald. Die Grundlage bilde das Cre/loxP-System, mit dem sich speziell markierte DNA-Abschnitte umordnen oder entfernen lassen. Sein Team züchtete dazu Mäuse, die die Grundelemente des Barcodes in ihrem Genom tragen: An einer ausgewählten Stelle, an der keine Erbanlagen verschlüsselt sind, befinden sich neun DNA-Schnipsel aus einer Pflanze, der Ackerschmalwand. Flankiert werden diese Elemente von insgesamt zehn genetischen Schnittstellen, loxP genannt. Wird die dazu passende molekulare Schere „Cre“ aktiviert, werden in den Blutstammzellen der Tiere zufällig Code-Elemente umgeordnet oder herausgeschnitten.

„Dieser genetische Zufallsgenerator kann bis zu 1,8 Millionen verschiedener genetischer Barcodes erzeugen, und wir können diejenigen Codes identifizieren, die in einem Experiment nur einmal entstehen“, sagt Höfer. „Den Rest der Arbeit übernehmen die Mäuse“, sagt Rodewald. Denn wenn sich die so markierten Blutstammzellen teilen und heranreifen, bleiben die Barcodes erhalten.

In Zusammenarbeit mit dem Team um Sascha Sauer von den Genomics-Technologieplattformen des Berlin Institute of Medical Systems Biology (BIMSB) und des Berlin Institute of Health (BIH) am MDC haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler umfangreiche Barcode-Analysen durchgeführt, um nachzuverfolgen, von welcher Stammzelle eine bestimmte Blutzelle abstammt.

Es war entscheidend, dass die Barcodes ganz lesbar waren

„Die Barcodes sollten nicht zerschnipselt oder nur teilweise ausgelesen werden. Deshalb war es entscheidend, dass der PacBio Sequenzierer relativ lange DNA-Stücke mit einigen Tausend Nukleotiden direkt analysieren kann“, sagt Sauer. Bereits 2011 startete Bundeskanzlerin Angela Merkel das Vorgängermodell dieses Sequenzierers an der Genomics-Technologieplattform. Seitdem haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler umfangreiche Erfahrungen damit gesammelt und können Projekte schnell und effizient umsetzen. Die Ingenieurin Claudia Quedenau optimiert fortlaufend die biochemische Präparation der Proben und steigert den Durchsatz durch weitere Automatisierung. Auch ein Nachfolgegerät ist bereits da.

„Für das aktuelle Paper wurden bioinformatische Methoden etabliert, um die Barcodes effizient zu analysieren und die Entwicklung der Blutzelltypen nachzuvollziehen“, sagt Sauer. Dies ermöglichte die direkte Beobachtung einzelner Knochenmarksstammzellen während eines dynamischen Prozesses. Anhand der kleinen Unterschiede in den Barcodes der verschiedenen Zellen konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler quasi dabei zusehen, wie sich der Blutzell-Stammbaum verzweigt.

Diese Analysen haben ergeben, dass aus den Blutstammzellen der Mäuse zwei große Entwicklungsäste hervorgehen: In einem Ast entwickeln sich die T- und B-Zellen des Immunsystems. Im anderen die roten Blutkörperchen sowie verschiedene weitere weiße Blutkörperchen, etwa Granulozyten oder Monozyten. Alle diese Zelltypen können aus einer einzelnen Stammzelle entstehen. „Unsere Befunde zeigen, dass das klassische Modell eines hierarchischen Entwicklungsbaumes, der von multipotenten Stammzellen ausgeht, für die Blutbildung gilt“, betont Rodewald.

Die Kooperation mit dem DKFZ geht weiter

Das System der Heidelberger eignet sich nicht nur dazu, die Entwicklung von Blutzellen zu untersuchen. Die Strategie lässt sich im Prinzip in jedem Gewebe anwenden. Auch der Ursprung von Leukämien oder grundlegende Prozesse der Zellentwicklung könnte man in Zukunft auf diese Weise in vivo im Tiermodell verfolgen. Die Kooperation zwischen dem MDC und dem DKFZ geht weiter, berichtet Sauer. „Für mich ist das Projekt zusätzlich ein Beispiel dafür, was die PacBio Sequenzierer leisten.“

Inzwischen könne das Gerät im Durchschnitt bis zu 20.000 Nukleotide in einem Stück lesen. Es sei somit zum Beispiel möglich verschiedene Isoformen der RNA des gleichen Gens zu detektieren und zu quantifizieren, die Regulation der Boten-RNA oder biologische Fragen zu Entzündungsprozessen zu untersuchen. „Die Technik wird auch gern angewendet, um mikrobielle Genome zu entschlüsseln, für die es keine Referenzsequenz gibt und um virale Infektionsprozesse bei Elefanten oder Koala- und Eisbären zu untersuchen, für die sich das Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin interessiere“, sagt Sauer. „Es gibt wirklich viele diverse Anwendungen.“

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