Wissenschaftlliches Bild

Seltene Nierenleiden bekämpfen

Für zwei Erkrankungen der Niere, die einer überaktiven Einheit der Körperabwehr geschuldet sind, will Michael Bader gemeinsam mit seinem und sechs weiteren europäischen Teams neue Methoden zur Diagnose und Verlaufskontrolle entwickeln. Dafür erhalten die Forschenden insgesamt 1,9 Millionen Euro.

Kommt der Körper mit Viren, Bakterien oder anderen Eindringlingen in Kontakt, wehrt unter anderem das Komplementsystem sie an vorderster Front ab. Als Teil der angeborenen Immunabwehr besteht es aus mehr als dreißig im Blut zirkulierenden Proteinen. Manchmal ist diese Truppe allerdings eifriger als nötig. „Das kann unter anderem zu zwei seltenen Nierenerkrankungen führen: dem atypischen hämolytisch-urämischen Syndrom, abgekürzt aHUS, und den C3-Glomerulopathien, kurz C3G“, erklärt Professor Michael Bader, der am Max Delbrück Center die Arbeitsgruppe „Molekularbiologie von Hormonen im Herz-Kreislaufsystem“ leitet.

Um neue Verfahren zu finden, mit denen Ärzt*innen diese Krankheiten früh und genau erkennen und besser behandeln können, hat Bader jetzt gemeinsam mit sechs anderen europäischen Teams vom „European Joint Programme on Rare Diseases“ eine Förderung über insgesamt 1,9 Millionen Euro erhalten. 300.000 Euro davon gehen ans Max Delbrück Center. Drei Jahre wird das Projekt COMPRare laufen, die Kindernephrologin Professorin Nicole van de Kar vom Radboud University Medical Center in Nijmegen in den Niederlanden koordiniert es.

Akute und chronische Nierenschäden

Es gibt Tests, die sich aber von Labor zu Labor sehr stark unterscheiden. Wir wollen präzise und standardisierte Assays entwickeln.
Michael Bader
Michael Bader Leiter der AG „Molekularbiologie von Hormonen im Herz-Kreislaufsystem“

Bei einem aHUS entzündet sich die Niere und in den feinsten Blutgefäßen, den Kapillaren, bilden sich Gerinnsel, die mitunter lebensbedrohliche Durchblutungsstörungen hervorrufen können. Bei den C3G lagern sich Komplementfragmente in den Nieren ab. Beide Erkrankungen schädigen die Nieren. „Das Komplementsystems zu blockieren, gilt als Therapie der Wahl beim aHUS und hat womöglich erhebliches Potenzial bei C3G“, sagt Bader. Das zeigen immer mehr große klinische Studien mit Komplement-hemmenden Medikamenten.

„Für Ärzt*innen ist es allerdings sehr herausfordernd, die Erkrankungen rasch und genau zu diagnostizieren“, sagt Bader. Ein Ziel ist es daher, genetische Varianten bei den Komplement-Proteinen aufzuspüren, die für ein aHUS typisch sind. „Es gibt schon jetzt Tests, die sich aber von Labor zu Labor sehr stark unterscheiden“, sagt Bader. „Wir wollen präzise und standardisierte Assays entwickeln.“

Auf der Suche nach Biomarkern

Auch die Dauer und die optimale Dosis der Therapie mit monoklonalen Antikörpern ist derzeit umstritten. Die Forschenden wollen deshalb neue Biomarker und Protokolle entwickeln, um den Krankheitsverlauf bei aHUS- und C3G-Patient*innen zu überwachen und vorherzusagen. Und sie suchen nach bisher unbekannten Faktoren, die das Komplementsystem und damit die Entstehung und den Verlauf der beiden Nierenleiden beeinflussen. „Solche Moleküle könnten sowohl als Biomarker als auch als therapeutisches Ziel dienen“, sagt Bader.

Das Enzym Carboxypeptidase M (rot markiert) hemmt in der Niere eine Einheit der Immunabwehr, die überaktiv werden kann. Auf dem Bild sind röhrenförmige Strukturelemente (Tubuli) im Querschnitt und ein Filtrationskörperchen (Glomerulus) in der Niere einer Ratte zu sehen.

Sein Fokus sind das Renin-Angiotensin- und das Kallikrein-Kinin-System. Über den ersten Regelkreis steuert der Körper seinen Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt sowie den Blutdruck. Der zweite besteht aus mehreren Proteinen im Blut. Warum diese Eiweiße Blutdruck, Blutgerinnung, Schmerzen und Entzündungen beeinflussen, ist bisher kaum verstanden. „Ob und inwieweit das Kallikrein-Kinin-System an beiden Nierenleiden beteiligt ist, wissen wir nicht“, sagt Bader. Einige Experimente der Partner würden darauf hinweisen, dass es zur Aktivierung des Komplementsystems beitrage. „Mithilfe unserer Tiermodelle werden wir das überprüfen.“

Interessant für COVID-19

Er hat ein weiteres Protein im Visier: das Enzym Carboxypeptidase M (CPM), das auf der Oberfläche von Zellen sitzt. „Seine beiden wichtigsten Ziele sind das Kallikrein-Kinin- und das Komplementsystem“, erläutert Bader. „Wir wissen zum Beispiel, dass CPM das Komplementsystem in der Niere hemmt.“ Interessant sei das im Hinblick auf COVID-19: „Viele Schäden, die SARS-CoV-2 hervorruft, lassen sich womöglich darauf zurückführen, dass das Komplementsystem im jeweiligen Organ überaktiv wird“, sagt der Wissenschaftler. Somit könne CPM bei häufigeren Erkrankungen, an denen das Komplementsystem beteiligt sei, eine entscheidende Rolle spielen: „Mit Wirkstoffen, die das Enzym aktivieren, könnte man dann nicht nur Nieren-, sondern viele andere Organschäden verhindern.“

Text: Anke Brodmerkel

 

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