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Von Berlin nach Lissabon und zurück

Die NOVA-Universität und das Max Delbrück Center bauen gemeinsam das NOVA Institute for Medical Systems Biology (NIMSB) auf. Beide Institutionen wollen die Grenzen der Präzisionsmedizin verschieben. „Insights“ hat mit den drei Projektleiter*innen in Lissabon und Berlin gesprochen.

Im Laufe ihres Lebens greift eine Zelle immer wieder auf Anweisungen zurück, die in ihrem Erbgut enthalten sind. Sie liest darin wie in einem Handbuch und erfährt so, wie sie auf äußere Einflüsse reagieren soll. Mit patientenspezifischen Organoiden, den Methoden der Einzelzell-Biologie und Künstlicher Intelligenz können Forscher*innen sie dabei beobachten. Sie wollen verstehen, wann und warum sich eine Zelle in Richtung Krankheit verändert und sie möglichst rasch in einen gesunden Zustand zurückversetzen. Eine Diagnose zu stellen, bevor es zu Folgeschäden kommt und die entstehende Erkrankung sehr früh zu stoppen, könnte Patient*innen viel Leid ersparen.

Es ist kein Zufall, wenn sich dieses Konzept bekannt anhört. Das NIMSB hat ein Vorbild: das Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB). „Wir freuen uns sehr über diese strategische Partnerschaft. Wir brauchen Zusammenarbeit, um unsere Ideen Realität werden zu lassen“, sagt Professorin Ana Pombo, die stellvertretende Direktorin des MDC-BIMSB. Sie leitet das Projekt gemeinsam mit Dr. Stan Gorski, verantwortlich für Strategie am MDC-BIMSB, und Professor António Jacinto von der NOVA-Universität. Die Europäische Kommission hat 15 Millionen Euro bewilligt, um das NIMSB als ein „Center of Excellence“ zu etablieren. Die NOVA-Universität konnte zusätzlich 20 Millionen Euro in Portugal einwerben.

Über das  NOVA Institute for Medical Systems Biology (NIMSB)

Damit wir chronische Erkrankungen früh diagnostizieren und für den jeweiligen Patienten oder die jeweilige Patientin die wirksamste Therapie auswählen können, müssen wir diese Krankheiten auf zellulärer Ebene verstehen. Das NIMSB will dafür Pionierarbeit leisten und mithilfe interdisziplinärer Forschung bereits die ersten zellulären Veränderungen aufspüren, mit diesem Wissen neue Diagnostika entwickeln – und die Zellen wieder in einen gesunden Zustand versetzen, bevor es zu irreparablen Schäden in Geweben und Organen kommt. Das wird möglich, indem die Teams Technologien wie räumliche Einzelzell-Multi-Omics-Analysen, Künstliche Intelligenz und patientenspezifischen Modellen (Organoiden, Organ-on-a-chip) kombinieren.

Wir wollen für spezifische Gruppen von Patient*innen verstehen und definieren, wann, warum und wie Zellen vom gesunden Zustand abweichen, und zwar je nach genetischem Hintergrund oder Umwelteinflüssen. Gesundheitsforschung in vielfältigen menschlichen Populationen ist der Schlüssel zu umfassenderen und präziseren Therapien in Europa und weltweit.

Das NIMSB ist eine Partnerschaft zwischen der NOVA-Universität Lissabon, Portugal, und dem Max Delbrück Center in Berlin, Deutschland. Finanziert wird es von der Europäischen Union („Teaming for Excellence“-Grant – Horizon Europe, 12.006.000 € für NOVA, 2.986.000 € für das Max Delbrück Center), der portugiesischen Regierung und der Stadtverwaltung von Oeiras, Portugal.

Wie fing das alles an? Woher kennen Sie sich?

António Jacinto: Die NOVA-Universität Lissabon hat entschieden, Präzisionsmedizin zu einem Schwerpunkt zu machen – und ich war Teil der Arbeitsgruppe, die das entsprechende Konzept entwickelt hat. Als ich den Beitrag in „Nature“ zur LifeTime-Initiative gelesen habe, dachte ich: Das ist es! Systembiologie für die Medizin, diese neuen Technologien richtig nutzen! Gleichzeitig gab es über das „Horizon Europe“-Programm die Möglichkeit, sich für eine Anschubfinanzierung von Tandems zu bewerben. Tandem heißt: ein neues „Center of Excellence“ aufbauen in Kooperation mit einem führenden Forschungszentrum in einem anderen europäischen Land. Als ich nach Partnern suchte, habe ich gesehen, dass eine ehemalige Kollegin, Ana Pombo, Teil der LifeTime-Initiative ist und habe sie kontaktiert.

Ana Pombo: Wir haben sofort gesehen, dass das voll und ganz unseren Strategien entspricht! Die Frist für die erste Bewerbungsrunde war knapp, aber der Vorstand des Max Delbrück Center und die Fakultät haben das Konzept sofort unterstützt. An diesen Sommer erinnere ich mich gar nicht mehr so genau. Wir haben hart gearbeitet, aber alle Türen waren offen.

Stan Gorski: Das NIMSB aufzubauen, ist eine sehr konkrete Möglichkeit, die Vision der pan-europäischen LifeTime-Initiative in die Tat umzusetzen. Wir hoffen, dass das NIMSB zeigt, wie wir über alle Grenzen hinweg Wissen und Expertise teilen können, damit aus der Idee einer interzeptiven Medizin Wirklichkeit wird.

António Jacinto: Die Arbeit an LifeTime hat uns jedenfalls erheblich erleichtert, diesen Antrag zu schreiben.

Besuch vom NIMSB aus Lissabon: António Jacinto (links) mit Ana Pombo und Stan Gorski.

Es gab eine Blaupause.

Ana: Dabei hatten wir gar nicht an Portugal gedacht, als wir das ursprüngliche Konzept für LifeTime entworfen haben. Hier bot sich also die Möglichkeit, neue Verbindungen zu knüpfen. Es gibt in Portugal viele großartige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Unsere Stärken ergänzen sich – und mit all diesen Köpfen über ein Konzept nachzudenken, wie es LifeTime auf den Punkt bringt, ist sehr reizvoll. Es schafft eine Gemeinschaft vor Ort. Und Wissenschaftler*innen aus dem ganzen Max Delbrück Center haben gesagt: Ja, das ist ein bisschen wie unser Alter Ego, ein Spiegel. Aber nicht ganz gleich. Wir würden damit nicht nur die NOVA-Universität unterstützen. Wir erweitern unser eigenes Portfolio. Wir tauschen uns innerhalb dieser beiden Institutionen über unser Wissen, unsere Expertise und unsere Methoden aus.

António, Sie vergleichen das MDC-BIMSB mit einem älteren Bruder oder einer älteren Schwester. Wie soll sich das NIMSB unterscheiden?

António: Es kann und soll kein Klon werden. Das NIMSB wir auf dem lebenswissenschaftlichen Campus in Oeiras angesiedelt sein, dort gibt es einen Schwerpunkt auf „One Health“ – also zu den Wechselbeziehungen zwischen Tieren, der Umwelt und uns. Das bietet die Chance, die Technologien der Systembiologie in ganz verschiedenen Feldern anzuwenden und zusammenzuarbeiten.

Ana: Und alles, was man dort entwickelt, kann letztlich auch der menschlichen Gesundheit zugute kommen. Diese Technologien kann man in unterschiedlichsten Fachgebieten weiterentwickeln und anwenden. Es muss nicht immer zuerst um den Menschen gehen. Es geht auch umgekehrt.

António: Wir sind nicht weit von der Küste entfernt, und die Stadt würde gern Krankheitserreger im Abwasser viel genauer beobachten. Das ist nur ein Beispiel. Wir werden nicht direkt an ein großes klinisches Referenzzentrum angebunden sein, aber wir werden mit verschiedenen Krankenhäusern zusammenarbeiten. Vor allem kommt es darauf an, viele Nachwuchsforschende anzulocken – denn sie werden die Zukunft gestalten. So machen es die meisten erfolgreichen Institutionen! Man muss in Talente investieren, ihre Ideen einfließen lassen.

Vorerst arbeiten die Mitarbeiter*innen des NIMSB im 5. Stock des Rektorat-Gebäudes der NOVA-Universität.

Ana: Wir möchten ein spannendes Umfeld schaffen, das wirklich Raum für menschliche Interaktion bietet. Das kann man vom MDC-BIMSB übernehmen. Das Max Delbrück Center wird bei allen Schritten einbezogen sein.

António: Die genetische Vielfalt der Menschen ist ein anderes Thema. Wir haben enge Verbindungen mit vielen Ländern, in denen Portugiesisch gesprochen wird – in Afrika und anderswo. Wir können mit ihnen zusammenarbeiten und Krankheiten analysieren, die dort besonders prävalent sind. Im Gegenzug können wir mit Proben arbeiten, die genetisch deutlich diverser sind.

Welche Meilensteine stehen jetzt an?

António: Wir sind mitten in der Gründungsphase des NIMSB. Die Finanzierung hat im September 2023 begonnen. Im Oktober gab es einen erfolgreichen Kick-off in Lissabon, unter den Gästen waren unter anderem die deutsche Botschafterin, Dr. Julia Monar, und unsere Ministerin für Forschung, Technologie und Bildung, Professorin Elvira Fortunato. Gemeinsam mit dem Max Delbrück Center haben wir im Februar 2024 die Gremien und Ausschüsse etabliert, wir rekrutieren Wissenschaftler*innen, unterstützendes Personal, Angestellte für die Verwaltung. Das NIMSB ist eine gemeinsame Initiative unterschiedlicher Schulen der NOVA-Universität. Das freut uns sehr, weil wir den Forscherinnen und Forschern, die wir anwerben, so eine Laufbahn im Tenure Track anbieten können. Sie werden eng vernetzt sein mit den verschiedenen Fakultäten, unter anderem mit den Ausbildungsprogrammen für Doktorand*innen.

Ana: Das ist Chance, aber auch eine Herausforderung. Die Partnerschaft mit dem Max Delbrück Center macht das NIMSB unabhängiger von den Zwängen vor Ort. Es schafft ein Gegengewicht, weil es eine Vision bietet und zeigt, was man mit einer gewissen Unabhängigkeit erreichen kann, wie man herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt ans NIMSB holen kann.

Stan: Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Max Delbrück Center und der NOVA-Universität ist wirklich wichtig. Denn das NIMSB muss sich schnell etablieren. Wir bauen innerhalb weniger Jahre eine ganze Fakultät auf: 20 Forschungsgruppen, fünf Technologieplattformen und 24 Stellen für PhDs. Fünf bis sechs Gruppenleiter*innen werden wir schon in den ersten Jahren rekrutieren. In den nächsten Jahren wird außerdem ein neues Gebäude auf dem lebenswissenschaftlichen Campus in Oeiras gebaut – also am Atlantik.

Was wünschen Sie dem NIMSB?

Ana: Ich hoffe, dass das NIMSB exzellente Nachwuchsforschende anzieht, die gerne in Portugal arbeiten, mit uns kooperieren und das Konzept der Systembiologie erweitern, es in die Zukunft führen. Machen wir das NIMSB gemeinsam zu einer treibenden Kraft, zu einem Vorbild für andere Institutionen.

Stan: Dass wir eine langfristige strategische Partnerschaft aufbauen und pflegen und sowohl die Fakultät als auch die Verwaltung am Max Delbrück Center eng mit den jeweiligen Kolleginnen und Kollegen am NIMSB oder der NOVA-Universität zusammenarbeiten. Daraus entstehen dann hoffentlich neue und spannende Ideen für die Forschung.

António: Die Finanzierung steht für sechs Jahre – etwa 30 Millionen Euro bis 2029. In dieser Zeit müssen wir ein tragfähiges Institut aufbauen, das in Portugal und Europa etwas bewegen kann.

Interview: Jana Schlütter

Weiterführende Informationen

Kontakte am Max Delbrück Center in Berlin

Prof. Ana Pombo
Sprecherin und Projektleiterin, NIMSB@MDC
Max Delbrück Center
+49 30 9406-1760
Ana.Pombo@mdc-berlin.de

Dr. Stan Gorski
Co-Projektleiter, NIMSB @MDC
Max Delbrück Center
+49 30 9406-1389
stan.gorski@mdc-berlin.de

Dr. Juliana Roscito
Wissenschaftsmanagerin, NIMSB@MDC
Max Delbrück Center
+49 30 9406-1730
Juliana.GussonRoscito@mdc-berlin.de

Dr. Marta Cipinska
Koordinatorin für  Karriereförderung und Ausbildungsprogramme, NIMSB@MDC
Max Delbrück Center
+49 30 9406-1312
Marta.Cipinska@mdc-berlin.de