Mina Gouti

ERC-„Proof of Concept“-Grant für Mina Gouti

Damit sich Organoide gut entwickeln können, müssen sie gehegt und gepflegt werden. Bisher geschieht das vor allem von Hand – ein Prozess, der sich nicht für die Wirkstoffsuche in der Industrie eignet. Mit einem „Proof of Concept“-Grant des ERC will Mina Gouti ihn nun skalieren und reproduzierbar machen.

Dr. Mina Gouti und ihre Kolleg*innen entwickeln hochkomplexe Organoide aus umprogrammierten Stammzellen von Patient*innen, die an neuromuskulären Erkrankungen wie zum Beispiel spinaler Muskelatrophie (SMA) leiden. „Die Kinder bekommen während der ersten Lebensmonate Lähmungen. Am Ende können sie nicht einmal atmen“, sagt die Leiterin der Arbeitsgruppe „Stammzell-Modellierung der Entwicklung und Erkrankung“ am Max Delbrück Center. „Mit Hilfe unserer neuromuskulären Organoide, wir nennen sie NMOs, wollen wir verstehen, warum genau die Motoneuronen der Kinder absterben und Wege finden, das Leiden aufzuhalten. Und das ist nur eine von vielen Krankheiten, die man mit NMOs untersuchen kann.“  

Aber um neue Therapien zu entwickeln – und verlässliche Daten zu gewinnen – muss ihr Labor Tausende NMOs produzieren, alle in der gleichen Qualität und alle zur gleichen Zeit. Die Forscher*innen stehen damit vor denselben Herausforderungen wie das gesamte Feld: Reproduzierbarkeit und Skalierbarkeit. „Damit modernste 3D-Zellkultursysteme wie unseres ihr volles Potenzial ausschöpfen können, müssen wir automatisierte, verlässliche Verfahren für Hochdurchsatz-Experimente entwickeln, die die Industrie ebenfalls einsetzen kann“, sagt Gouti. Der Europäische Forschungsrat ERC teilt diese Einschätzung und finanziert nun ihr Vorhaben zur Automatisierung mit einem „Proof of Concept“-Grant (PoC) in Höhe von 150.000 Euro. Gouti ist eine von 366 Forscher*innen aus ganz Europa, die der ERC im Jahr 2022 so unterstützt und den Weg dafür ebnet, dass ihre Ergebnisse aus ERC Consolidator-Grant-Projekten in breit verfügbare Lösungen übersetzt werden können. 

Standardisierte Pflege für Organoide 

Organoide sind ein bisschen wie Babys: Sie müssen ständig gefüttert und gepflegt werden, damit sie glücklich sind und sich gut entwickeln. „Im Moment ist der größte Teil meines Labors damit beschäftigt, diese komplexen Organoide von Hand zu erzeugen“, sagt Gouti. „Das ist arbeitsintensiv und teuer. Außerdem können die Ergebnisse je nach Betreuer*in variieren.“  Sie möchte jeden Schritt dieses Prozesses automatisieren und eine besser kontrollierte Umgebung schaffen.

Bis zu zwei Jahre alt können die Organoide in der Petrischale werden.

Um einem Roboter beizubringen, wie man Organoide heranzieht, arbeitet sie mit der Technologieplattform für pluripotente Stammzellen von Dr. Sebastian Diecke zusammen. Dort ist bereits ein geeignetes System vorhanden. Während die Organoide wachsen, wird außerdem ein Hochdurchsatz-Bildgebungssystem aus ihrem Labor immer wieder Fotos aufnehmen. Künstliche Intelligenz soll dann die Morphologie und Größe des jeweiligen Organoids bewerten. „Kooperationen wie diese machen die Arbeit am Max Delbrück Center aus“, sagt Gouti. „Wir können unsere Forschung gemeinsam vorantreiben. Und wenn wir erfolgreich sind, haben wir nicht nur robuste Daten. Wir haben auch viel mehr Zeit, um Krankheitsmechanismen zu analysieren.“ 

Ein Wirkstoffscreening im Hochdurchsatzverfahren ist jedoch mit einer weiteren Herausforderung verbunden. Sobald die Organoide 50 bis 100 Tage alt sind – und gerade ausgereift genug, um neuromuskuläre Krankheiten nachzubilden – sind sie mit fünf bis sechs Millimetern zu groß, um in die Standard-Mikrotiterplatten mit 96 Näpfchen zu passen. „Wir müssen die Organoide miniaturisieren“, sagt Gouti. „Eine Frage ist also, wie wir kleine, aber trotzdem funktionstüchtige Versionen züchten können. Die andere Frage lautet: Können wir die Reifung beschleunigen, wenn die Organoide nicht mehr so sehr mit Wachsen beschäftigt sind?“ 

Schritt für Schritt verbessern Gouti und ihre Kolleg*innen die Technologie, um sie anderen Laboren in Berlin und letztlich der Pharmaindustrie zur Verfügung zu stellen. „Ich bin sehr glücklich, dass wir diesen Prozess jetzt beginnen“, sagt Gouti. „Unser oberstes Ziel ist es, NMOs als neues präklinisches Modell für die Arzneimittelprüfung zu etablieren. Ich bin überzeugt, dass sie dazu beitragen können, Tierversuche zu reduzieren. Und, was noch wichtiger ist, viele Patientinnen und Patienten mit seltenen neuromuskulären Erkrankungen warten verzweifelt auf Therapien.“ 

Weiterführende Informationen 

Bilder zum Download 

Kontakte

Dr. Mina Gouti
Leiterin der AG „Stammzell-Modellierung der Entwicklung und Erkrankung“ 
Max Delbrück Center 
mina.gouti@mdc-berlin.de

Jana Schlütter
Redakteurin, Abteilung Kommunikation 
Max Delbrück Center 

+49-(0)30-9406-2121 
jana.schluetter@mdc-berlin.de oder presse@mdc-berlin.de

Max Delbrück Center

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.