Michael Sigal, Simon Haas und Gabriele G. Schiattarella

ERC Starting Grants für Berliner Wissenschaftler

Sie haben schwerwiegende Krankheiten im Visier: Gabriele G. Schiattarella untersucht die Mechanismen der Herzschwäche, Simon Haas möchte Immuntherapien gegen Leukämie verbessern und Michael Sigal würde gern Darmkrankheiten verhindern. Nun zeichnet der ERC die Forscher mit einem Starting Grant aus.

 

Der Starting Grant des Europäischen Forschungsrates ERC gilt als Ritterschlag für Nachwuchsforscher*innen. Neben Prestige geht er mit einer Förderung in Höhe von etwa 1,5 Millionen Euro über fünf Jahre einher, er öffnet Türen und zieht gute Bewerber*innen für Doktoranden- und PostDoc-Stellen an. Der Europäische Forschungsrat sucht nach ungewöhnlichen Ansätzen, die – sofern sie funktionieren – erheblichen Fortschritt ermöglichen („high risk, high reward“). Die Kandidat*innen müssen seit ihrer Promotion zwei bis sieben Jahre Erfahrung gesammelt haben und vielversprechende Erfolge vorweisen. Am Max Delbrück Center können sich nun drei Gastwissenschaftler über die begehrte Auszeichnung freuen: Dr. Gabriele G. Schiattarella, Dr. Simon Haas und Professor Michael Sigal. 

Gabriele G. Schiattarella leitet eine DZHK-geförderte Gastgruppe „Translationale Ansätze bei Herzinsuffizienz und kardiometabolischen Erkrankungen“ am Max Delbrück Center in Buch und arbeitet an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Kardiologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Der ERC Starting Grant ermöglicht ihm, sein Projekt „KetoCardio“ umzusetzen. Damit geht er der Frage nach, wie sich Ketonkörper – das sind Abbauprodukte des Fettstoffwechsels – auf die Herzinsuffizienz mit konservierter Auswurfleistung – kurz HFpEF (kurz für: heart failure with preserved ejection fraction) – auswirken. Er erhält dafür 1,8 Millionen Euro.

Simon Haas leitet die Nachwuchsgruppe „Systemische Hämatologie, Stammzellen & Präzisionsmedizin“ des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) im gemeinsamen Forschungsfokus „Single Cell-Ansätze für die personalisierte Medizin“ des BIH, des Max Delbrück Centers und der Charité. Sein Team ist als Gastgruppe am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Centers (MDC-BIMSB) angesiedelt. Mithilfe des ERC Starting Grants will er im Projekt „InteractOmics“ das Zusammenspiel von Immun- und Leukämiezellen untersuchen und herausfinden, warum die Immuntherapie bei Leukämie in manchen Fällen wirkt, in anderen jedoch versagt. 

Michael Sigal ist Arzt und Wissenschaftler an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie der Charité und leitet als Gastwissenschaftler am MDC-BIMSB die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Gastrointestinale Barriere, Regeneration und Karzinogenese“. Mit seinem Projekt „Revert“ will er aufklären, wie sich das Gewebe des Magen-Darm-Trakts bei einer Schädigung verändert. Das könne ein Grundstein für die Therapie entzündlicher Darmkrankheiten sein und zur Prävention von Darmkrebs beitragen.

Die Projekte im Detail

Den Herzstoffwechsel neu starten

Gabriele G. Schiattarella

HFpEF ist eine sehr häufige Form der Herzschwäche – weltweit sind mehr als 30 Millionen Menschen daran erkrankt. „In den kommenden Jahren wird sie zur häufigsten Form der Herzinsuffizienz werden“, sagt Gabriele G. Schiattarella. Dabei ist nicht die Pumpkraft des Herzens wesentlich beeinträchtigt, sondern seine Dehnbarkeit. Deshalb kann der Herzmuskel nicht genug Blut aufnehmen, um den Körper ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Die Betroffenen sind weniger belastbar, lagern Wasser in der Lunge und im übrigen Körper ein, werden kurzatmig. Über die molekularen Mechanismen der Krankheit ist wenig bekannt; Medikamente dagegen gibt es kaum.

Schiattarellas Team hat herausgefunden, dass bei Patient*innen mit HFpEF der Ketonspiegel im Blut erhöht ist. Ketone sind Abbauprodukte des Fettstoffwechsels. Wenn Körperzellen nicht ausreichend Glukose erhalten – etwa beim Fasten oder beim Sport –, verbrennt der Körper Fett statt Glukose. Dabei entstehen Ketone oder Ketonkörper, die die Zellen nutzen können, um ihren Energiebedarf zu decken. „Sie sind ein starker Treibstoff für den Zellstoffwechsel“, sagt Gabriele G. Schiattarella. „Die Zellen kommunizieren außerdem mit ihrer Hilfe Veränderungen in ihrem Stoffwechsel.“  

Schiattarella will untersuchen, was den Keton-Stoffwechsel bei HFpEF ankurbelt und warum. „Möglicherweise will der Körper auf diese Weise die in Mitleidenschaft gezogenen Herzmuskelzellen mit mehr Energie versorgen oder ihre Schäden kompensieren“, vermutet der Forscher. Außerdem will er klären, ob und wie Ketone, insbesondere das häufigste Keton namens ß-Hydroxybutyrat (ß-OHB), die Chromatinstruktur, Gentranskription und Signalübertragung in den Herzmuskelzellen regulieren und so beispielsweise ihre Elastizität beeinflussen. Und er will therapeutische Strategien entwickeln, um den Keton-Spiegel bei HFpEF weiter zu erhöhen – sei es durch eine angepasste Ernährung, ein spezielles Bewegungstraining oder Medikamente.  

Am Max Delbrück Center steht dem Wissenschaftler und seinem Team eine breite Palette an Technologien zur Verfügung. „Wir werden verschiedene Tiermodelle entwickeln und Proteomik-, Transkriptomik- und Genomikansätze miteinander verknüpfen“, sagt der Forscher. „Das und die drei Säulen des Projektes – der Keton-Stoffwechsel, ihre Signalübertragung plus die Entwicklung Keton-basierter therapeutischer Strategien – machen KetoCardio zu einem ‚big deal‘ der kardiovaskulären Forschung.“ 

Wie sich Leukämie- und Immunzellen begegnen

Simon Haas

Leukämie entsteht aus unreifen Immunzellen, die sich nicht weiterentwickeln, sondern sich ständig teilen und das Blut überschwemmen. Sie treffen dort auf reife und aktive Immunzellen, die sie entweder erkennen und abtöten oder aber entkommen lassen. Bislang ist wenig darüber bekannt, wie die Immunzellen mit den Leukämiezellen interagieren. „Das wäre aber wichtig, um zu verstehen, warum das Immunsystem in manchen Fällen die Leukämiezellen besiegt und in anderen versagt“, sagt Simon Haas. „Und warum bei manchen Patient*innen die Immuntherapie gut anschlägt, bei anderen dagegen nicht.“

Simon Haas möchte die Einzelzell-Analyse so weiter entwickeln, dass sie das Zusammenspiel und die Kommunikation aller Immunzellen mit Krebszellen erfassen kann. Er ist mit seinem Team am MDC-BIMSB untergebracht, das dafür hervorragende technische Voraussetzungen bietet. „Wir möchten statt Einzelzellen Millionen von Zellpaaren untersuchen, die gerade miteinander interagieren. Diese Doubletten verraten uns, wer an wen bindet und was dabei passiert.“ 

Die Wissenschaftler*innen untersuchen dafür zunächst das Blut von Mäusen, die an Leukämie erkrankt sind. Bei ihnen können sie verfolgen, wie sich die Krankheit zu verschiedenen Zeitpunkten entwickelt, wie sie voranschreitet oder gestoppt werden kann. Seine klinischen Kooperationspartner an der Charité stellen ihm außerdem Proben von Leukämiepatient*innen zur Verfügung. „Wenn wir verstehen, in welchem Stadium der Krankheit sich die Zellen begegnen, und in welchem Stadium der Entwicklung sich die Immunzelle und die Krebszelle jeweils befinden, können wir besser nachvollziehen, wie die Immunabwehr vorgeht und wie sich die Leukämie dagegen wehrt“, erklärt Simon Haas. 

Immuntherapien, die das Immunsystem des eigenen Körpers nutzen, um den Krebs zu bekämpfen, werden bereits für die Leukämie-Therapie eingesetzt. Allerdings funktioniert dieser Ansatz nur bei einem Bruchteil der Patient*innen. „Wenn wir nun die Zellpaare aus dem Blut der erfolgreich behandelten Patienten mit denen der Patienten vergleichen, bei denen die Immuntherapie leider nicht funktioniert hat, können wir hoffentlich lernen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit das Immunsystem gegen die Leukämie gewinnt.“ Er will vorhersagen, bei welchen Patient*innen sich der Einsatz der sehr aufwändigen und kostspieligen Immuntherapie voraussichtlich lohnt. Und wie man die Immuntherapie so weiterentwickeln kann, dass sie bei noch mehr Patient*innen gut wirkt. 

Die Schwelle zum Darmkrebs verstehen

Michael Sigal

Magen und Darm sind einer Vielzahl äußerer Einflüsse ausgesetzt. Daher sind sie mit einer schützenden Innenwand ausgekleidet, die sich fortwährend regeneriert, dem Epithel. Michael Sigal beschäftigen insbesondere Stammzellen, die für die kontinuierliche Erneuerung eben jener Barriere zwischen Körper und Umwelt verantwortlich sind. Eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe unter seiner Leitung erforscht, wodurch diese Stammzellen möglicherweise geschädigt werden, und wie die Schäden zum Entstehen infektiöser und entzündlicher Erkrankungen oder Krebs beitragen. 

Das Team konnte bereits zeigen, dass eine Verletzung der Darmschleimhaut zu einer neuen Aufgabenteilung führt. Stammzellen, die sich tief im Inneren der Schleimhaut befinden, sterben ab und werden von ausdifferenzierten Zellen der Oberfläche ersetzt. Diese werden zu Stammzellen reprogrammiert und beginnen, sich immer wieder zu teilen, um so die Schleimhaut neu aufzubauen. Zwar verhindert dieser Regenerationsprozess, dass nach einer Verletzung Bakterien aus dem Darm in die Blutbahn gelangen. Jedoch vermutet Sigal, dass hier auch der erste Schritt auf dem Weg zu Darmkrebs getan wird.

„Zellen an der Oberfläche des Epithels kommen mit dem Mikrobiom, also den im Darm lebenden Bakterien, und ihren Stoffwechselprodukten in Berührung, die mitunter ihre DNA-schädigen können“, sagt er. „Werden sie zu Stammzellen, können sich Mutationen im Epithel festsetzen und die komplexen Prozesse, die normalerweise für ein Gleichgewicht zwischen Zellteilung und Ausdifferenzierung sorgen, durcheinanderbringen – ein Vorstadium der Krebsentwicklung.“ 

In den kommenden fünf Jahren will er mit dem Projekt „Revert“ aufklären, wie sich das Gewebe des Magen-Darm-Trakts bei einer Schädigung verändert. Um die Tochterzellen von normalen Stammzellen mit solchen von „Ersatz-Stammzellen“ zu vergleichen, nutzt er die Einzelzellsequenzierung und erstellt für die einzelnen Zellen Stammbäume („lineage-tracing“). Sie dokumentieren die genetischen Veränderungen im Laufe der Zeit. Mithilfe solcher Technologien will Sigal ein grundlegendes Verständnis dafür entwickeln, welche Faktoren dazu beitragen, dass chronisch-entzündliche und maligne Erkrankungen des Darms sich manifestieren.  Dieses Wissen könnte den Grundstein für die Entwicklung ursachengerichteter Therapien für entzündliche Darmkrankheiten legen und zur Prävention von Darmkrebs beitragen.

Text: Charité, BIH, Jana Ehrhardt-Joswig

 

Weitere Informationen

Max Delbrück Center

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.