lung epithel cells

Neue Technologie für die Virusforschung

Ein Leuchtsignal identifiziert Zellen, die auf eine SARS-CoV-2-Infektion reagieren. Mit dieser neuen Technologie kann man nach wirksamen COVID-19-Therapien suchen und andere Viruserkrankungen erforschen, schreibt das Team um Gaetano Gargiulo im Fachmagazin „Science Advances“.

Wenn wir atmen, gelangt das SARS-CoV-2-Virus über die Zellen der oberen Atemwege in den Körper. Die erste Verteidigungslinie sind die Epithelzellen: Nehmen sie einen Eindringling wahr, schlagen sie Alarm und das angeborene Immunsystem greift gezielt an. Nur wenn sie diese Reaktionen verstehen und pharmakologisch beeinflussen können, können Forschende wirksame Behandlungen gegen Viruskrankheiten wie COVID-19 oder andere neuauftretende Infektionen entwickeln. Für solche Analysen haben Forschende am Max Delbrück Center Lungenepithelzellen im Labor so modifiziert, dass sie rot aufleuchten, sobald eine Zelle eine Immunantwort auslöst. Die Ergebnisse stellt Dr. Gaetano Gargiulo, Leiter der Arbeitsgruppe „Molecular Oncology“ am Max Delbrück Center nun im Fachjournal „Science Advances“ vor.

Ursprünglich haben Gargiulo und sein Team diesen Ansatz für die Krebsforschung entwickelt. Doch während der Pandemie haben sie ihre Methode auch an virusinfizierten Zellen erprobt. „Unser Team wollte seinen Teil zur Bewältigung der Pandemie beitragen – mit einem Werkzeug, um Virusinfektionen zu erforschen und zu bekämpfen“, sagt Gargiulo, der Letztautor der Studie. „Möglicherweise können wir künftige Pandemien rascher bewältigen, wenn wir die Technologie auf neuartige Virusstämme anpassen.“

Die Immunantwort in Echtzeit

Am spannendsten fand ich, dass die Infektion mit verschiedenen Stämmen des lebenden Virus tatsächlich die Farbkodierung auslöste
 Ben Jiang
Ben Jiang Doktorand am Max Delbrück Center

Das Werkzeug namens „synthetische Locus-Kontrollregion“ (sLCR) besteht aus einem im Labor erzeugten DNA-Abschnitt, der ein fluoreszierendes Protein an- oder ausschaltet – abhängig davon, ob die Zelle eine Immunantwort anstößt. Während einer angeborenen Immunantwort schaltet sich sLCR ein und bildet ein Protein, das unter einem Fluoreszenzmikroskop rot leuchtet. So kann man erkennen, ob die Zelle die Infektion registriert hat und wie stark sie dagegen ankämpft.

Für ihre sLCR nutzten die Forschenden einzigartige DNA-Sequenzen: Anhand früherer Studien gingen sie davon aus, dass sie während einer SARS-CoV-2-Infektion aktiv sind. In der Petrischale fügten sie anschließend die Sequenzen in Epithelzellen ein und infizierten die Zellen mit dem SARS-CoV-2-Virus. Sobald die biochemischen Signale der angeborenen Immunantwort eine Infektion veranlassten, zeigte sich unter einem Fluoreszenzmikroskop ein deutliches Signal: Die Zellen leuchteten rot auf.

„Am spannendsten fand ich, dass die Infektion mit verschiedenen Stämmen des lebenden Virus tatsächlich die Farbkodierung auslöste“, sagt Ben Jiang, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Gargiulo und einer der Erstautor*innen der Studie. Möglich waren die Experimente mit lebenden Virenpartikeln dank der Zusammenarbeit zwischen dem Team am Max Delbrück Center und der Gruppe von Luka Cicin-Sain am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig.

Lungenepithelzellen mit Membranen (rot) und Kernen (blau). Zellen, die als Reaktion auf eine SARS-CoV-2-Infektion das fluoreszierende Protein exprimieren, leuchten grün.

Neue Behandlungen für virale Erkrankungen finden

Diese Technologie könnte man auch mit komplexeren Krankheitsmodellen wie Organoiden oder Mäusen ausprobieren.
Matthias-Jürgen Schmitt
Matthias Schmitt Doktorand am Max Delbrück Center

Dank dieser einfachen Auswertung konnten die Forschenden nach Medikamenten suchen, die die Immunantwort hemmen oder verstärken. Einige Medikamente gegen rheumatoide Arthritis etwa ließen die behandelten Zellen nicht rot aufleuchten – ein Hinweis darauf, dass sie die Immunantwort blockieren. Bestimmte Chemotherapien sorgten hingegen dafür, dass die Zellen intensiver leuchteten. Das deutet darauf hin, dass sie die Immunantwort verstärken.

Die unterschiedlichen Effekte könnten in verschiedenen Phasen einer COVID-19 Infektion nützlich sein. Ein Medikament, das eine starke Immunantwort hervorruft, würde am Anfang der Infektion im Kampf gegen das Virus helfen. Im späteren Verlauf könnte eine anhaltende Immunreaktion jedoch das Krankheitsbild verschlimmern. „Mit dieser Technologie können wir Wirkstoffe identifizieren, die die Immunantwort des Epithelgewebes stärken oder schwächen. Beides kann sinnvoll sein – je nach Krankheitsstadium und Symptomen“, erklärt Jiang.

Insbesondere die Entdeckung, dass DNA-schädigende Substanzen das Alarmsignal von Epithelzellen verstärken können, macht die niedrig dosierte Strahlentherapie zu einer potenziellen Behandlungsmethode für virale Infektionen, einschließlich COVID-19. Dies wurde während der Pandemie getestet, erfordert jedoch eine genaue Dosierung und gutes Timing, sagt Gargiulo.

Die vorliegende Studie wurde zwar an Zellkulturen durchgeführt, allerdings haben andere Forschungsgruppen die identifizierten Medikamente bereits in klinischen Studien zur COVID-19-Therapie untersucht. Die Ergebnisse von Gargiulo und seinem Team könnten also dabei helfen, neue Kombinationen und andere Wirkstoffe zu finden, die noch auf ihre Wirksamkeit beim Menschen hin überprüft werden müssen. „Diese Technologie könnte man auch mit komplexeren Krankheitsmodellen wie Organoiden oder Mäusen ausprobieren“, sagt Matthias Schmitt, ein weiterer Erstautor der Studie.

„Den gleichen Ansatz kann man problemlos für andere virale Infektionen umfunktionieren: etwa die aufkommende Bedrohung durch Dengue- und Zika-Viren“, sagt Gargiulo. „Und sie steht Laboren weltweit zur Verfügung, um rechtzeitig Medikamente gegen neue Infektionskrankheiten zu finden.“

 

Weiterführende Information

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Literatur

Ben Jiang, Matthias Jürgen Schmitt et al. (2023): „Pharmacological modulators of epithelial immunity uncovered by synthetic genetic tracing of SARS-CoV-2 infection responses“. Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.adf4975
 

Pressekontakte

Dr. Gaetano Gargiulo
Leiter der Arbeitsgruppe „Molekulare Onkologie“
Max Delbrück Center
Tel.: +49 30 9406-3861

gaetano.gargiulo@mdc-berlin.de

Christina Anders
Redakteurin, Kommunikation
Max Delbrück Center
+49 30 9406-2118
christina.anders@mdc-berlin.de oder
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Max Delbrück Center

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.