Uta Höpken

Die Trainerin

Tumorzellen suchen sich Nischen im Gewebe, um zu wachsen und sich zu vermehren. Uta Höpken studiert, wie sie durch den Körper wandern und in ihren Nischen mit anderen Zellen interagieren. Mit diesem Wissen will sie therapeutische CAR-T-Zellen trainieren, Krebszellen zu erkennen und abzutöten.

Das Video zeigt einen Moment der Zerstörung. Blaue CAR-T-Zellen attackieren  rot eingefärbte Tumorzellen, die bei jedem Kontakt aufblitzen. „Das ist der Beweis, dass sie eine Substanz freisetzen, um Tumorzellen zu töten“, sagt Dr. Uta Höpken und zeigt auf ihren Bildschirm. Höpken, die am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) die Arbeitsgruppe „Mikroumgebung als Regulator bei Autoimmunität und Krebs“ leitet, hat die angriffslustigen Immunzellen mit ihrem Team hergestellt. Sie hat sie in eine Zellkultur mit Krebszellen gegeben und aufgezeichnet, was sie darin anrichten: Nach einer halben Stunde hat eine einzelne ihrer CAR-T-Zellen mehr als 15 Tumorzellen getötet – und eine Spur der Verwüstung im umgebenden Gewebe hinterlassen.

CAR-T-Zellen, die Tumorkiller

Damit wurde klar, welches Potenzial CAR-T-Zellen haben. Man kann mit ihnen manche Krebsarten im Prinzip heilen.
Uta Höpken
Uta Höpken Leiterin der AG "Mikroumgebung als Regulator bei Autoimmunität und Krebs"

CAR-T-Zellen sind eine recht neue Hoffnung für Krebspatient*innen, vor allem als Therapie von Blut- oder Lymphdrüsenkrebs. Sie zielen auf Merkmale (Antigene) auf der Oberfläche von Tumorzellen, die sich normalerweise vor dem Immunsystem verstecken können. Um die Tumorkiller herzustellen, werden T-Zellen aus dem Blut von Patient*innen genetisch so verändert, dass sie eine Art Antenne auf ihrer Oberfläche ausbilden, einen „chimären Antigenrezeptor“ (CAR). Sie lassen die Tarnung der ansonsten „unsichtbaren“ Tumorzellen auffliegen – und töten sie ab. Wieder und wieder, wie Höpkens Video zeigt.

Die Tumorkiller sind so erfolgreich, dass im Jahr 2018 eine erste CAR-T-Zell-Therapie in Europa zugelassen wurde. Sie richtet sich gegen bestimmte Formen von B-Zell-Leukämien und Lymphdrüsenkrebs. „Damit wurde klar, welches Potenzial CAR-T-Zellen haben“, sagt Höpken. „Man kann mit ihnen manche Krebsarten im Prinzip heilen.“ Mit ihrem Team sucht die Forscherin nach neuen Antigenen, die CAR-T-Zellen als Angriffspunkt dienen könnten – und sie stellt mit diesem Wissen die Auftragskiller im Labor her und trainiert sie, um auch andere Formen von Blut- und Lymphdrüsenkrebsarten zu bekämpfen.

Ein unglaubliches Gewimmel – mit eigener Ordnung

Die Biologie war früh Uta Höpkens liebste Brille, um die Welt zu verstehen. Als Jugendliche liest sie die Bücher der Primatenforscherin Jane Goodall, will in Afrika Tiere beobachten. Doch als Studentin der Biologie merkt sie, dass Moleküle sie mehr reizen – und medizinische Vorlesungen: Immunologie, Virologie, Parasitologie, Mikrobiologie. Sie spezialisiert sich auf Humanbiologie, findet im Immunsystem eine lohnenswerte Herausforderung. „Nichts daran ist statisch, es ist ein unglaubliches Gewimmel von T- und B-Zellen, Makrophagen und dendritischen Zellen, die durch alle Organe und Blutgefäße wandern und Ausschau halten“, sagt sie mit der ihr eigenen sachlichen Begeisterung.

Diese Zellbewegung lässt sie nicht mehr los. Für ihre Doktorarbeit beobachtet sie, wie Zellen des angeborenen Immunsystem bei Entzündungen an den Ort des Geschehens wandern, weil sie einen Rezeptor tragen, der auf bestimmte Stoffe – Liganden – reagiert, die dort freigesetzt werden. Sie entwickelt einen monoklonalen Antikörper, der sich diesen Rezeptor zunutze macht und untersuchte, ob er bei Blutvergiftung helfen kann. 1994 geht sie nach Boston an die Harvard Medical School.

„Während meiner Zeit in den USA wurden die Chemokinrezeptoren definiert. Sie locken Zellen an den Ort von Entzündungen“, sagt Höpken. Genau wie der Rezeptor, den sie damals untersuchte. Bald stellte sich heraus, dass einige wenige Chemokinrezeptoren auch eine Voraussetzung dafür sind, dass die HI-Viren an menschliche Immunzellen andocken können, um sie zu infizieren. Die neue Rezeptor-Klasse wurde weltweit bekannt – und Uta Höpken war mittendrin. Am Berliner MDC entdeckte Professor Martin Lipp einen Chemokin-Rezeptor, der aus der Reihe fiel, weil er auf einen Liganden reagierte, der auch unter gesunden Bedingungen freigesetzt wird, ohne Entzündung.

Auftragskiller mit Spürsinn

Die Ordnung hat mich fasziniert, nichts daran war willkürlich. Man konnte genau erkennen, wohin die B-Zellen gewandert sind.
Uta Höpken
Uta Höpken Leiterin der AG "Mikroumgebung als Regulator bei Autoimmunität und Krebs"

Als sie im Dezember 1996 Lipps Veröffentlichung in „Cell“ sieht, ist Uta Höpken berauscht von den Bildern, die das Team von der Milz einer Maus angefertigt hatte: eine dreifarbige Immunfluoreszenz, die T-Zellen blau eingefärbt, die B-Zellen grün und rot. Das Bild verdeutlichte eindrucksvoll, wie wichtig ein einzelner Chemokinrezeptor mit dem Namen CXCR5 für die Zellbewegung ist, etwa dafür, dass reife B-Zellen ihren Weg vom Knochenmark zu ihrem Ziel finden, den B-Zell-Zonen in den lymphatischen Organen wie Lymphknoten oder Milz – und die innere Struktur dieser Organe mitentwickeln können. „Die Ordnung hat mich fasziniert, nichts daran war willkürlich. Man konnte genau erkennen, wohin die B-Zellen gewandert sind“, erinnert sich Höpken. Sie beschließt, ans MDC zu gehen.

In Berlin dauert es nicht lange, bis sie die ersten Tumorzellen unter dem Mikroskop hat. Sie verfolgt, wohin Krebszellen wandern, wenn sie einen Chemokinrezeptor wie CCR7 und CXCR5 quasi als Navigationsgerät tragen – oder eben nicht – und stellt fest, dass diese Rezeptorenklasse wichtig für die Tumorentwicklung ist. Immer häufiger richtet sie ihren Blick auf die Nischen, in denen sich die Tumorzellen festsetzen. Sie inventarisiert Zelltypen in dieser Mikroumgebung und beobachtet, wie die Krebszellen mit gesunden Zellen interagieren, um sie für ihre bösartigen Zwecke einspannen. „Tumorzellen können Gerüstzellen und Immunzellen wie Makrophagen, Neutrophilen und dendritische Zellen so verändern, dass sie von ihnen nicht mehr bekämpft werden, sondern Unterstützung bekommen, um zu wachsen und weitere Tumorzellen zu bilden“, erklärt Höpken.

„Ich will Betroffenen helfen“

Um das Jahr 2015 hat sie das Gefühl, endlich genug von diesem „Crosstalk“ genannten Zusammenspiel der Tumorzellen und ihrer Wanderung zu verstehen, um therapeutische Ansätze für CAR-T-Zellen zu entwickeln, die gezielt auf Blutkrebszellen losgehen, weil sie ihre Rezeptoren aufspüren können. „Es war mir ein tiefes Bedürfnis, Betroffenen zu helfen“, sagt Höpken. Zwei ihrer Auftragskiller haben sich seither als wirksam erwiesen: einer gegen das multiple Myelom, ein Knochenmarkkrebs, ein zweiter gegen bestimmte Blut- und Lymphdrüsenkrebsarten wie follikuläre Lymphome oder chronisch-lymphatische Leukämien. „Wenn es gut läuft, werden wir 2022 die ersten Patient*innen behandeln können“, sagt Höpken.

Bevor diese CAR-T-Zellen als Therapien zugelassen werden, müssen noch einige Fragen beantwortet werden. Denn obwohl die CAR-T-Zellen gezielt Krebs-Antigene angreifen, töten sie auch „normale“ B-Zellen und können ungewollt andere Moleküle attackieren. Versuche an Mäusen haben ergeben, dass gegen CXCR5 gerichtete CAR-T-Zellen Tumorzellen verlässlich beseitigen – und die Tiere mit dem Verlust ihrer gesunden B-Zellen gut leben konnten. Sie zeigten auch, dass sie Leber-, Nieren- oder Gliazellen nicht beschädigen. Doch wie gut die Therapie tatsächlich wirkt, müssen klinische Studien am Menschen zeigen.

Neue Therapien schneller zu den Krebskranken bringen

Man hört Ungeduld heraus, wenn Uta Höpken über Therapieentwicklung und Zulassungen spricht. Vieles geht ihr zu langsam, manches sei überreguliert, todkranken Patient*innen das Ausmaß der Bürokratie kaum zu vermitteln. Um die Prozesse zu beschleunigen, engagiert sie sich für das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), das mit einem Standort auf dem Virchow-Campus im Berliner Wedding entsteht. „Dort sollen Betroffene Zugang zu neuesten Therapien bekommen und sich weiterbilden können, um Krebsstudien besser einzuschätzen“, sagt Höpken. Patientenvertreter*innen werden am NCT über die Therapieentwicklung mitbestimmen. „Das ist ein absolut notwendiger Schritt, um vielversprechende Therapien schneller unter die Leute zu bringen.“

Eine Welt ohne Krebs wird es nie geben. Aber wir müssen versuchen, möglichst viele Krebsarten von tödlichen in chronische Krankheiten umzuwandeln. Und manche vielleicht heilen
Uta Höpken
Uta Höpken Leiterin der AG "Mikroumgebung als Regulator bei Autoimmunität und Krebs"

Uta Höpken hätte längst in der Pharmaindustrie sein können. Doch intellektuelle Freiheit bedeutet ihr weitaus mehr als eine geregelte Arbeitswoche mit dreifachem Gehalt. Sie genießt es auch, dass sie am Forschungszentrum so intensiv mit jungen Menschen zusammenarbeiten und Doktorand*innen ausbilden kann. „Ich kann mir am Wochenende ausdenken, für welche Krebsart ich eine CAR-T-Zelle entwickeln möchte und fange am Montag damit an“, sagt sie. Tatsächlich sind ihre Sonntage keine Ruhetage, will ihr nicht einleuchten, wie man Freizeit und Arbeit voneinander trennen kann. „Für mich zählt beides zum Leben“, sagt sie. „Ich beschäftige mich sonntags gerne mit Dingen, die ich in der kommenden Woche anstoßen will.“ Nur der Waldlauf am Sonntagmorgen, der ist ihr heilig.

Für ihre Arbeit am MDC hofft Höpken, weitere CAR-T-Zellen konstruieren zu können, um anderen Krebsarten zu Leibe zu rücken, nicht nur Blut- und Lymphdrüsenkrebs. So hat sie mit Dr. Annette Künkele von der Charité – Universitätsmedizin Berlin das Neuroblastom ins Visier genommen, eine Krebserkrankung, die sich in Wirbelsäule oder Nebenniere festsetzt und vor allem Kinder betrifft. Sie will helfen, die Mikroumgebung des Tumors so zu beeinflussen, dass CAR-T-Zellen besser wirken können. „Eine Welt ohne Krebs wird es nie geben. Aber wir müssen versuchen, möglichst viele Krebsarten von tödlichen in chronische Krankheiten umzuwandeln“, sagt Höpken. „Und manche vielleicht heilen.“

Text: Mirco Lomoth

 

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